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Drachenmonat

Drachenmonat

Titel: Drachenmonat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
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blutig geschlagen«, sagte das Schwein. »Jetzt reicht es.«
    Der Direktor sah das Schwein an.
    »Was ist passiert?«
    »Was ich sage. Dieser … dieser …« Das Schwein sprach nicht aus, für was es mich hielt. »Er hat einem Kind die Nase eingeschlagen.«
    Das klang, als wäre ich ein Großer, der einen Kleineren angegriffen hatte. So wie das Schwein es mit mir gemacht hatte.
    »Er war schon immer ein Rabauke«, fuhr das Schwein fort. »Davon weiß ich nichts«, sagte der Direktor.
    »Was?«
    »Solange ich hier bin, ist mir noch nicht zu Ohren gekommen, dass Kenny sich geprügelt hat«, sagte der Direktor.
    »Sie sind noch nicht lange hier.« Das Schwein machte ein paar Schritte weg vom Fenster in den Raum. »Früher hat er sich in fast jeder Pause geprügelt.«
    Der Direktor sah mich an.
    »Das war, bevor ich Samurai geworden bin«, sagte ich. Der Direktor nickte.
    Das Schwein gab einen Trompetenton von sich. »Samurai!«, sagte er. »Ha!«
    »Wer ist verletzt worden?«, fragte der Direktor. Das Schwein nannte Arnes Namen und Nachnamen. »Einer meiner Schüler.«
    Das machte den Eindruck, als wäre Arne eine schwache, kranke Person, nur weil er manchmal zum Nachhilfeunterricht ging. Aber Arne war größer als ich.
    Der Direktor trat an eines der Fenster und sah hinaus.
    »Ich habe wie jeden Morgen vor der ersten Stunde hier gestanden und die Kinder beobachtet«, sagte er und schaute weiterhin nach draußen. »Vor einer Weile habe ich Kenny über den Schulhof kommen sehen.« Er drehte sich zum Schwein um. »Und dann sah ich, wie ihm etwas an den Kopf flog. Er wurde von irgendetwas getroffen.« Der Direktor schaute mich an. »Was war das, Kenny?«
     
    »Ein Ball«, antwortete ich. »Ein Tennisball.«
    »Wer hat ihn geworfen?« Ich antwortete nicht.
    »Ich mag es nicht, wenn man mir auf eine Frage nicht antwortet«, sagte der Direktor. »Arne«, sagte ich. Der Direktor nickte.
    »Ein Ball!«, sagte das Schwein. »Es war nur ein Ball!«
    Ich verstand nicht, warum er Arne so sehr in Schutz nahm, vielleicht weil Arne bei ihm Nachhilfeunterricht bekam.
    »Dann hat das Telefon geklingelt, und ich musste das Fenster verlassen«, sagte der Direktor. »Was danach passiert ist, weiß ich nicht.«
    »Ich weiß es«, sagte das Schwein. »Der Junge ist jetzt bei der Krankenschwester. Seine Nase könnte gebrochen sein, vielleicht muss er genäht werden.«
    Hoffentlich nähen sie seinen Rüssel zusammen, dachte ich.
    Aber dann schämte ich mich meiner Gedanken. Es war ein reiner Reflex gewesen, als ich zugeschlagen hatte. Ich hatte ihn nicht verletzen wollen.
    »Ich habe auf sein Kinn gezielt«, sagte ich.
    Und der Direktor fing an zu lachen.
     
    6
     
    Im Unterricht saß ich still auf meinem Platz und hörte Frau Olsson zu, die vom Zweiten Weltkrieg berichtete. Der Krieg war lange her, aber während sie sprach, schien er noch gar nicht so lange her zu sein. Es war interessant, und das erstaunte mich. Nicht dass der Krieg interessant war, sondern dass sie erzählen konnte. Ich hatte einiges über den Krieg gelesen, aber sie hatte mehr gelesen. Und sie hatte darüber nachgedacht. Plötzlich war sie eine richtige Lehrerin. Vielleicht hatte ich ihr Unrecht getan.
    Ich war froh, dass sie Japan nicht erwähnte. Die japanische Armee hatte sich im Zweiten Weltkrieg furchtbar benommen, genau wie die deutsche.
    Zu der Zeit waren Wahnsinnige an der Macht.
    Samurai haben nicht in der japanischen Armee mitgekämpft. Dort gab es keine Ehre.
    In dem Augenblick, als Frau Olsson von der Okkupation Frankreichs zu erzählen begann, öffnete sich die Tür, und der Direktor kam herein.
    Wir erhoben uns mit laut schurrenden Stühlen.
    »Setzt euch bitte.« Der Direktor wedelte mit der Hand. Er sah mich an.
    »Ich muss mit dir reden, Kenny. Komm bitte mit hinaus.« Das war keine Frage, und ich hatte keine Wahl. Sogar Frau Olsson schien erstaunt zu sein.
    »Er hat nicht… hier gibt es keine Probleme«, sagte sie.
    »Nein, nein«, sagte der Direktor. »Es geht um etwas anderes.« Er sah mich an. »Kenny?«
    Ich fühlte mich wie festgeklebt an meinem Platz und konnte mich nicht rühren. Ich wollte mich nicht rühren. Wenn ich mich bewegte und dem Direktor folgte, würde etwas Furchtbares passieren. Das merkwürdige Gefühl von heute Morgen war wieder da. Wenn ich sitzen bliebe, würde nichts passieren.
    »Kenny?«, sagte der Direktor. »Wir müssen gehen.«
    Der Klebstoff ließ mich los, ich stand auf, und meine Füße gingen über den Fußboden.

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