Drachenmonat
Wasserhahn ab, ging in den Flur und öffnete die Tür zu Mutters Zimmer. Sie war ganz unter der Bettdecke verschwunden. Es sah aus wie ein Zelt. Das Zelt schnarchte.
Plötzlich überfiel mich ein komisches Gefühl, als würde ich hier zum letzten Mal stehen und Mutter anschauen. So ein Gefühl hatte ich noch nie gehabt. Wenn ich morgens in die Schule ging, wusste ich, dass sie bei meiner Rückkehr zu Hause sein würde, manchmal wach, manchmal schlafend. Aber sie würde dort sein.
Das Gefühl hatte ich jetzt nicht. Ich war drauf und dran, ihr die Decke wegzuziehen und etwas zu sagen. Was sollte ich sagen? Irgendwas. Aber das wäre albern. Sie würde sich wundem, dass ich sie ohne Grund geweckt hatte.
Leise schloss ich die Wohnungstür hinter mir, ging die Treppe hinunter, über den Hof und auf die Straße, am Park und am Fluss vorbei, dann ging ich nach links, und nach einem Kilometer immer geradeaus hatte ich die Schule erreicht.
Ich hatte immer noch dieses Gefühl. Es war merkwürdig, fast wie ein Traum, an den man sich erinnert, aber man kann nicht erkennen, ob es Wirklichkeit oder ein Traum war.
Den Schulhof überquerte ich wie im Schlaf, und als mich etwas hart am Hinterkopf traf, war es wie ein Schlag, den man im Schlaf versetzt bekommt.
Es tat weh. Ich drehte mich um, hinter mir stand Arne und grinste. Er ging in die Parallelklasse, jedes Mal wenn ich ihn sah, fragte ich mich, wie er es bis in die Sechste geschafft hatte. Er war ein Idiot. Vielleicht bestachen seine Eltern die Schule, damit er versetzt wurde. Sie wirkten reich, wohnten in einem großen Haus außerhalb der Stadt und besaßen sogar zwei Autos.
Arne hatte mich noch nie gemocht und ich ihn auch nicht. Bevor ich Samurai wurde, haben wir uns oft geprügelt. Jetzt versuchte er immer wieder, Streit anzufangen. Er hat mir Sachen nachgeschrien, doch selbst als er etwas über meinen Vater sagte, dass er gesoffen habe und daran gestorben sei, habe ich mich nicht darum gekümmert. Das war eine Lüge. Vielleicht soff Arnes Vater, vielleicht sagte er es deswegen.
Der Tennisball, mit dem er mich getroffen hatte, lag vor meinen Füßen. Ich hob ihn auf und schleuderte ihn auf die Straße. Der Ball sprang zweimal auf und verschwand zwischen den Birken auf der anderen Straßenseite.
»Was soll das?!«, schrie Arne.
Ich ging ohne ein Wort weiter. Bis zu den Glastüren der Schule waren es fünfzehn Meter. Einige Kinder aus der Vierten standen neben der Treppe und beobachteten uns.
»Tommy!«, schrie Arne. »Hol sofort meinen Ball wieder, verdammt noch mal!«
Das bewies, wie bescheuert er war, wenn er sich einbildete, ich würde einen Ball zurückholen, den er mir an den Kopf geworfen hatte.
Ich hörte Schritte hinter mir und drehte mich um. Er kam mit wedelnden Armen auf mich zugelaufen. Sie sahen aus wie Flügel ohne Federn. Jetzt musste er richtig durchgedreht sein.
Als er mich erreichte, versetzte ich ihm einen Kinnhaken, der ihn wie einen Baum fällte. Aus seiner Nase schoss Blut. Ich musste ihn statt am Kinn an der Nase getroffen haben. Es war ziemlich viel Blut, und es sah unheimlich aus.
Er gab ein gurgelndes Geräusch von sich.
»Arne«, sagte ich, »was ist?«
Er hob einen Fuß und trat mich gegen das Schienbein. Es tat weh. Jetzt floss noch dickeres Blut aus seiner Nase, er sah aus, als hätte er das Gesicht in einen Marmeladentopf gesteckt.
»Scheißkerl!«, schrie er und trat noch einmal zu. Ich sprang beiseite.
Plötzlich packte mich jemand an der Schulter und drehte mich um. Es war das Schwein. Er war Nachhilfelehrer. Bei dem übte Arne bestimmt das Malnehmen mit eins.
»Was machst du da?«, schrie das Schwein. Er hielt mich an der Schulter fest, beugte sich herunter und schrie mir geradewegs ins Gesicht. Sein Atem war noch schlimmer als sein Griff. Ich versuchte mich ihm zu entwinden, aber er hielt mich nur noch fester. Jetzt hatte ich das Gefühl, als würde mir die Schulter ausgekugelt. Das Schwein war groß wie ein Nashorn. Ihm wäre es ein Leichtes, mir den Arm wie einen Hühnerflügel abzudrehen.
»Das ist das letzte Mal, dass du dich geprügelt hast!«, schrie das Schwein.
Der Direktor betrachtete mich von der anderen Seite des Schreibtisches. Er hatte sich erhoben, als wir hereingekommen waren. Das Schwein hatte mich Treppen hinaufgeschleppt und wie einen Sack voll Kartoffeln zur Tür hereingeschleift.
Es stand am Fenster. Ich stand vorm Schreibtisch, wo mich das Schwein abgestellt hatte.
»Er hat einen Jungen
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