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Drachenmonat

Drachenmonat

Titel: Drachenmonat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
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wir Janne wirklich zu Hause besuchen?«, fragte Kerstin leise, als wir uns auf die Holzstühle gesetzt hatten.
    »Warum nicht?«, flüsterte ich zurück. »Deswegen sind wir doch geblieben.«
    »Dann wird es spät, ehe wir wegkommen.«
    »Wir bleiben nicht lange.«
    Kerstin schwieg. Aber ich sah ihr an, dass sie noch etwas sagen wollte. »Was ist, Kerstin?«
    »Ich weiß nicht, ob ich noch wegwill«, sagte sie. »Vielleicht sollten wir nach Hause fahren, Kenny.«
    Ich sagte nicht, dass wir kein Zuhause hatten. Das hatte ich schon gesagt. Man konnte sich nicht dauernd wiederholen, am Ende bedeutete es überhaupt nichts mehr. Und Kerstin hatte vielleicht doch ein Zuhause. Vielleicht hatte ihre Mutter aufgehört zu trinken. Vielleicht hatte sie einen Schock bekommen, als sie merkte, dass Kerstin abgehauen war, und hatte den restlichen Schnaps in den Ausguss gekippt. Kerstin hatte erzählt, dass sie es einige Male gemacht hatte, und dann hatte ihre Mutter die Flasche gesucht, und wenn sie sie gefunden hatte, glaubte sie, sie habe schon alles ausgetrunken.
    »Ich mache mir Sorgen wegen meiner Mutter«, sagte Kerstin.
    »Glaubst du, sie macht sich deinetwegen Sorgen?«
    »Ja, natürlich.«
    »Hat sie sich vielleicht früher Sorgen um dich gemacht?« Kerstin antwortete nicht.
    »Wir sind doch gerade erst abgehauen«, sagte ich, »und können nicht schon wieder nach Hause gehen.«
    »Warum nicht?«
    »Das ist zu früh.«
    »Wir sind eine Nacht weg gewesen. Sie wissen, dass wir abgehauen sind. Ich glaube, dass auch alle wissen, warum. Vielleicht reicht das.«
    »Reicht? Wozu?«
    Sie antwortete nicht.
    »Es spielt keine Rolle, wann wir nach Hause kommen, Kerstin. Wir werden so oder so zu einer Pflegefamilie geschickt. Ich will das nicht. Und du auch nicht.«
    »Aber wir können doch nicht fliehen, bis wir erwachsen sind!«, sagte Kerstin etwas lauter.
    »Hast du vergessen, was Krister gesagt hat? Vielleicht werden wir schneller erwachsen, als wir glauben.«
    »Jetzt mach keine Witze, Kenny.«
    »Ich mach keine Witze. Es könnte ja auch was passieren, so dass wir gar nicht zurückmüssen.«
    »So was kann nicht passieren.«
    »Man weiß es nicht. Wenn wir nicht weiter fliehen, erfahren wir es nie.«
    Als ich den Satz beendet hatte, sah ich einen alten Mann auf uns zukommen, der kein bisschen freundlich wirkte. Schon von weitem fuchtelte er mit hoch erhobenem Finger.
    »Ihr dürft euch hier nicht unterhalten«, sagte er laut, tausendmal lauter als unser Flüstern. »In der Bibliothek hat es still zu sein!«
    »Wir sind still«, sagte ich.
    Er schaute auf mich herunter. Ich saß immer noch auf dem Stuhl.
    Er hatte einen Schädel wie ein Kohlkopf. »Außerdem ist das hier kein Spielplatz!«, fuhr er genauso laut fort. »Wir spielen nicht«, sagte ich. »Und was ist das da?« Er zeigte auf mein Katana. »Das ist mein Schwert«, sagte ich. »Na also, was hab ich gesagt!?«
    »Das ist kein Spielzeug.«
    »Ha! Kein Spielzeug? Jetzt verzieht euch schleunigst. Eine Bibliothek ist kein Spielplatz.«
    Ich stand auf, Kerstin auch. Es war sinnlos, sich weiter mit dem Alten anzulegen. Womöglich rief er die Polizei, auch wenn er uns nicht im Verdacht hatte, dass wir abgehauen waren.
    »Wart ihr nicht eben mit dieser Schulklasse hier?«, fragte er.
    »Nein«, sagte ich. »Aber wir müssen jetzt gehen.«
    »Was habt ihr dann hier zu suchen? Wieso seid ihr nicht in der Schule?«
    Wir standen neben den Stühlen. Der Alte neigte mir seinen Kohlkopf zu. Ich hätte zwei Schritte zur Seite gehen und ihn mit meinem Katana abschlagen können, aber dann hätte ich für den Rest meines Lebens auf der Flucht bleiben müssen.
    »Das ist auch Schule.« Kerstin setzte sich in Bewegung. »Wir haben Bibliothekstag.«
    »Wartet mal!«, rief der Alte, aber wir liefen schon die Treppe hinunter.
     
    Rönnbärsweg zwölf war ein großes Haus aus Holz. Es war gelb und grün gestrichen und sah aus, als würde der Sommer niemals gehen.
    An der einen Ecke des Hauses war ein Türmchen, und es gab mehrere Balkone. Der Garten schien fast genauso groß zu sein wie der Park um die Irrenanstalt. Den Weg zum Rönnbärsweg hatten wir auf einem Stadtplan gefunden, der vor der Bibliothek hing.
    Wir öffneten ein verrostetes Eisentor. Der Schotterweg war mit rotem Laub bedeckt. Sonnenlicht rieselte durch das Geäst der Bäume, und es roch nach Erde und Gras. Mein Rücken und meine Stirn waren schweißbedeckt.
    Wir gingen den Schotterweg endang, und die Steinchen knirschten

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