Drachenmonat
konnte.
Links vom Marktplatz lag die Bibliothek.
»Da gibt’s bestimmt einen Stadtplan«, sagte ich und zeigte zu den Schildern.
Der Platz war dem Platz zu Hause ähnlich. Es war ein merkwürdiges Gefühl, an unsere Stadt als »Zuhause« zu denken, so als hätten wir sie für immer verlassen. Vielleicht würden wir sie einmal besuchen, wenn es dort jemanden gab, den wir besuchen konnten, aber ein Zuhause würde es nie mehr sein. Vielleicht war es auch nie eins gewesen. Wir hatten dort nur gewohnt, irgendwo musste man ja wohnen. Im Sommer hatte man uns ins Camp geschickt, und im Herbst waren wir zurückgekehrt, aber nur vorübergehend. Wenn alles vorübergehend ist, gibt es kein richtiges Zuhause. Ich habe nie verstanden, warum Frau Sandberg auf dem Hof ihr ganzes Leben in derselben Stadt hatte verbringen können. Ich hatte sie nie gefragt, warum sie geblieben war, aber falls ich zurückkommen sollte, würde ich sie fragen.
»Hier kann es ja nicht viele Schulen geben«, sagte Kerstin, als wir die Treppenstufen zur Bibliothek hinaufstiegen. »Ich tippe auf drei«, sagte ich.
An der Tür begegneten wir einer Schulklasse, die auf dem Weg hinaus war. Wir traten zur Seite, als der Lehrer an uns vorbeiging. Die Kinder waren etwa in unserem Alter, aber sie sahen etwas merkwürdig aus, so wie Leute eben aussehen, wenn sie in einer Stadt wohnen, die man nicht so gut kennt. Sie wirken fremd wie Häuser und Straßen. Alles sieht anders aus, obwohl es fast genauso aussieht, wie man es gewohnt ist.
»Kenny!«
Ich erkannte ihn sofort. Seine Haare waren kürzer, und vielleicht war er etwas gewachsen, aber es war derselbe Janne.
Er war unter den Letzten, die aus der Bibliothek kamen, und blieb stehen. »Kenny! Und Kerstin! Was macht ihr denn hier!?«
»Dich besuchen«, sagte ich. »Neeee.«
»Doch, wirklich«, sagte Kerstin.
»Woher wusstet ihr, dass ich in der Bibliothek bin?«
»Das wussten wir nicht.«
Die Klasse war jetzt draußen und versammelte sich auf dem Marktplatz. Der Lehrer sagte etwas.
»Ich muss gehen.« Janne wies mit dem Kopf auf den Lehrer. »Aber wir müssen uns unbedingt nach der Schule treffen. Wir haben nur noch zwei Stunden. Jetzt gehen wir ins Museum. Und dann ist Schluss.«
»Tolle Schule«, sagte ich.
»Morgen fangen die Herbstferien an«, sagte Janne.
»Geht der Bogenschütze auch in deine Klasse?«
»Der Bogensch… du meinst Erik. Ja, aber er ist zu Hause.
Erkältet. Obwohl es keine echte Erkältung ist.« Janne lachte. »Er muss lesen, hat er gesagt. Die Schule stört ihn beim Lesen, sagt er.«
»Die Schule stört einen bei vielem«, sagte ich.
»Wo wir gerade davon reden. Warum seid ihr nicht in eurer Schule?« Er sah uns an, als sähe er uns jetzt zum ersten Mal. »Was macht ihr eigendich hier?«
»Herbstferien«, sagte Kerstin.
»Nee«, sagte Janne wieder.
Vom Platz wurde gerufen. Durch die Schwingtüren sah ich den Lehrer ein paar Schritte auf die Bibliothek zugehen. Er rief wieder.
»Das ist eine lange Geschichte«, sagte ich. »Aber du musst jetzt gehen, sonst kommt der Lehrer rein.«
»Wir müssen uns unbedingt treffen! Besucht uns zu Hause. Rönnbärsweg zwölf.«
»Ich weiß. Sind Eriks Eltern da?«
»Die sind im Ausland auf Reisen. Sie sind oft weg.« Er setzte sich in Bewegung. »Kommt um halb eins!«
Und dann ging er hinaus, seinem Lehrer entgegen. Der sagte etwas, das ich nicht verstand, und Janne antwortete. Wir hatten ihn nicht mehr fragen können, wo der Rönnbärsweg war.
»Am besten, wir verdrücken uns, damit der Lehrer nicht auf uns aufmerksam wird«, sagte ich.
Wir gingen durch die Halle. Links war der Tresen für die Ausleihe und Rückgabe, rechts ein Lesesaal mit Zeitungen und Nachschlagewerken.
»Vielleicht hat Krister einige von diesen Büchern hier verkauft.«
Im ersten Stock war es still. Ich konnte niemanden zwischen den Bücherregalen entdecken. Die Bibliothek war größer als in unserer Stadt. In diesem Raum gab es mehr Bücher, als ich jemals gesehen hatte.
»Da hinten sind Stühle«, sagte Kerstin.
»Bist du müde?«
»Nein.«
Aber ich glaubte ihr nicht, ich war müde. Ich hatte das Gefühl, als könnte ich heute einen Mittagschlaf halten. Doch vorher mussten wir Mittag essen.
Wir gingen zwischen den hohen Regalen entlang. Es roch anders als in der Bibliothek zu Hause, frischer, als ständen nur neue Bücher in den Borden. Aber die Buchrücken sahen genauso aus wie in unserer Bibliothek, nämlich überwiegend grün und rot.
»Wollen
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