Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Drachenmonat

Drachenmonat

Titel: Drachenmonat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
Vom Netzwerk:
gesehen. Seid ihr neu eingezogen?«
    »Wir wollten zu Ann«, sagte Kerstin. Sie zeigte auf die Nummer achtundzwanzig. »Sie wohnt in dem Haus da.«
    »Ann?«, sagte die Frau. »Das ist ja meine Tochter.«
     
    Die Tür zum Balkon stand offen. Ich hörte kleine Kinder auf der Straße mit dem Fahrrad vorbeifahren. Die Gardine über der Balkontür flatterte leicht.
    »Was für einen Altweibersommer wir haben«, sagte Anns Mutter und schaute zum Balkon.
    Wir saßen im Wohnzimmer. Es wirkte vornehm, so wie das ganze Haus und die Wohnung. Anns Mutter schien weder verrückt noch betrunken zu sein. Sie hatte jedem ein Glas Saft geholt und gesagt, dass Ann in einer Viertelstunde aus der Schule kommen würde und dass Anns Vater Überstunden machen musste. Danach hatten wir gar nicht gefragt. Neben dem vornehmen Sofa stand ein Femseher. Auf dem Tisch vor uns stand eine blaue Vase, die teuer wirkte.
    Warum haben sie Ann in das Camp geschickt, dachte ich. Von den Besuchstagen her konnte ich mich weder an ihre Mutter noch ihren Vater erinnern, aber da hatte ich Ann ja auch noch gar nicht gekannt. Die Mütter und Väter von uns allen waren nur fremde Erwachsene. Mir hatte es mit meiner Mutter gereicht, die schwitzend durch den Wald gekommen war.
    »Ihr wollt also Ann besuchen. Das ist aber nett.« Wir nickten.
    »Und du bist Kerstin.« Anns Mutter sah Kerstin an, als ob auch ich hätte Kerstin sein können. »Ann hat mir von dir erzählt.«
    Kerstin schwieg. Sie versuchte bestimmt, sich zu erinnern, was Ann zu Hause erzählt hatte. Nicht alles war gut. Alles sollte man nicht erzählen.
    »Und jetzt gibt es kein Camp mehr«, fuhr Anns Mutter fort. »Jetzt werdet ihr euch nicht mehr treffen.«
    »Nein«, sagte Kerstin.
    »Schrecklich, dieser Brand«, sagte Anns Mutter. Von der Alten oder Christian sagte sie nichts. Vielleicht wusste sie nichts von ihnen, weil Ann nichts erzählt hatte. Oder ihre Mutter wollte es nicht wissen.
    »Ihr hättet verletzt werden können«, sagte sie.
    »So schlimm war es nicht«, sagte ich.
    »Wie seid ihr hierhergekommen?«
    Diese Frage war wie ein Überfall.
    »Mit dem Bus«, sagte Kerstin.
    »So spät?«
    »Ja …«
    »Und wann fährt er zurück?«
    »Heute Abend.«
    »Dann kommt ihr aber sehr spät nach Hause. Was sagen denn eure Eltern dazu?«
    »Das ist okay«, sagte ich.
    »Das ist okay«, wiederholte sie, als hätte sie das Wort zum ersten Mal gehört. »Habt ihr morgen frei?«, fuhr sie fort. »Herbstferien«, sagte ich. »Ann hat diese Woche keine Herbstferien.«
    »Das ist überall verschieden«, sagte ich. »Aber ihr wohnt doch im selben Bezirk?«
    »In den verschiedenen Städten«, fügte ich hinzu. »Hm.«
    Im Flur wurde die Wohnungstür geöffnet. Gott sei Dank.
    Wir hörten, wie sie wieder geschlossen wurde und das Geräusch von Schuhen, die auf den Schuhableger gestellt wurden. Wir hatten ihn gesehen, als wir die Wohnung betreten hatten. Auch so ein Schuhableger war etwas Feines.
    »Hallo?«, hörten wir Anns Stimme.
    »Hier!«, rief ihre Mutter.
    Ann kam ins Zimmer.
    Sie zuckte zusammen, als hätte sie einen Stromschlag bekommen. »Kerstin!«
     
    »Deine Mutter scheint misstrauisch zu sein«, sagte ich. »Das ist sie immer«, sagte Ann.
    Ihr Zimmer war ziemlich klein. Es war genauso gut aufgeräumt wie die übrige Wohnung. Und Anns Schreibtisch auch. Nur ein Stapel Bücher lag darauf. Über ihrem Bett hing ein Plakat mit einem weißen Pferd.
    Ann und Kerstin saßen auf dem Bett. Ich saß auf dem Fußboden.
    »Plötzlich seid ihr hier!«, sagte Ann.
     
    Im Zimmer war es dunkler geworden. Wir waren vielleicht erst seit einer halben Stunde hier drinnen. Die Lampe auf Anns Schreibtisch war noch nicht eingeschaltet.
    »Was wollt ihr jetzt machen?«, fragte Ann.
    »Wir wissen es nicht«, sagte Kerstin.
    »Was soll bloß werden«, sagte Ann.
    »Das wird schon«, sagte ich.
    »Wenn Mama erfährt, dass ihr abgehauen seid, ruft sie sofort Papa an«, sagte Ann. »Warum sollte sie ihn anrufen?«, fragte Kerstin. »Er ist Polizist. Hab ich das nicht erzählt?«
     
    Hinter mehreren Fenstern im Polizeirevier brannte noch Licht. Wir gingen auf der anderen Straßenseite daran vorbei. Ann hatte zu ihrer Mutter gesagt, sie wolle uns zum Bus bringen.
    »Aber dass dein Vater nichts von uns erzählt hat«, sagte ich. »Nach uns wird doch gesucht.«
    »Er weiß ja nicht, dass ich euch kenne. Also wie ihr heißt.«
    »Und deine Mutter?«
    »Sie weiß auch nichts. Ich glaube nicht, dass sie sich Suchmeldungen

Weitere Kostenlose Bücher