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Drachenmonat

Drachenmonat

Titel: Drachenmonat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
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verstecken. Ihr müsst hier weg. Wir müssen ein geheimes Haus finden. Wir muss…«
    »Nun mal ganz ruhig, Klops«, unterbrach Kerstin ihn. »Wir haben einen Plan.«
    »Was für einen?«
    Er sah zwischen Kerstin und mir hin und her, als könnte er sich nicht entscheiden, wen von uns beiden er nach dem Plan fragen sollte. Im Sommer hatte er immer mich gefragt. Aber Kerstin war jetzt eine andere. Nach ihr wurde gesucht. So etwas hatte nicht einmal Klops erlebt, der doch Samurai war. Er konnte jedem erzählen, er habe mindestens fünfzehn Feinden den Kopf abgeschlagen, aber von der Polizei gesucht worden war er noch nie.
    »Der Plan besteht darin, uns vorm Jugendamt zu verstecken«, sagte Kerstin. »Solange es geht.«
    »Genau«, sagte ich.
    »Jugendamt.« Klops kaute auf dem Wort, als kaute er auf einem trockenen Fledermausflügel. »Jugendamt. Scheiße.«
    »Vielleicht können wir uns verstecken, bis wir erwachsen sind«, sagte Kerstin.
    »Wenn zu Hause nicht etwas Neues passiert«, sagte ich.
    »Was sollte denn passieren?«, fragte Klops.
    Ich sah Kerstin an, dass sie keine Kraft hatte, alles noch mal von vom zu erzählen, nicht in diesem Augenblick, und ich hatte auch keine Lust.
    »Ist deine Mutter wieder abgehauen, Kenny? Suchen sie immer noch nach ihr?«
    »Darüber reden wir ein andermal«, sagte ich.
    »Euch verstecken, bis ihr erwachsen seid?«, sagte Klops. »Oh! Wow!«
    »Wenn wir müssen«, sagte ich.
    »Darf ich mitkommen?«, fragte Klops.
     
    Der Türvorhang zum Varietezelt war nicht ganz zugezogen. Ich sah Rücken und Nacken. Das Publikum saß in vielen Reihen auf langen Holzbänken. Drinnen im Zelt war es sehr hell, und ich sah eine Frau still auf der Bühne stehen. Sie war nackt.
    Ich warf Kerstin einen raschen Blick zu, und sie schaute mich an. Sie hatte es auch gesehen. Ann und Klops standen etwas abseits und sahen nichts, während Kerstin und ich genau vor der Türöffnung standen. Alle anderen Jahrmarktbesucher schienen in diesem Augenblick im Zelt zu sein.
    Drinnen brüllten Männer.
    Jetzt bewegte sich die Frau auf der Bühne. Sie reckte die Arme. Sie war mager, und ihre Brüste waren klein. Ich bin kein Experte für Brüste, aber ihre schienen besonders klein zu sein. Jetzt stand sie wieder still, die Arme wie zu einem Kreis überm Kopf geformt.
    »Die schöne Venus!«, schrie jemand in ein Megafon. Es hallte über den ganzen Jahrmarkt wider. Der mit dem Megafon musste irgendwo auf der Bühne stehen, wo wir ihn nicht sehen konnten. »Geradewegs aus Rom!«
    Die Frau bewegte sich wieder. Sie sah älter aus als Mutter. Zwischen den Beinen hatte sie ein schwarzes Haardreieck. Das war größer als die Brüste. Ich hatte noch nie eine nackte Frau gesehen und wagte nicht, Kerstin anzuschauen, sah sie aber trotzdem aus den Augenwinkeln. Sie starrte geradeaus.
    Die Kerle da drinnen johlten.
    »Was machen die?«, fragte Klops. »Was passiert da?«
    Die Frau streckte die Arme vom Körper ab. Jetzt sah sie fast wie ein Kreuz aus, ein mageres Kreuz. Ich konnte ihre Rippen sehen. Plötzlich lächelte sie, aber sie sah nicht froh aus.
    »Die wunderschöne Aphrodite!«, schrie der Mann ins Megafon. »Direkt aus Griechenland. Die Göttin der Liiüiebe!«
    »Lasst uns gehen«, sagte Kerstin.
     
    »Was haben die da drinnen gemacht?«, fragte Klops, als wir uns ein Stück entfernt hatten. »Nichts«, sagte ich.
    »Du spinnst«, sagte Klops. »Ich hab doch das Gebrüll gehört.«
    »Da war jemand, der Statuen vorstellte.«
    »Statuen? Du spinnst.«
    »Antike Statuen«, sagte Kerstin.
    »Nun hört aber auf«, sagte Klops. »Wer bezahlt denn dafür, sich jemanden anzugucken, der den ollen Tegner darstellt? Ha, ha!«
    »Es gibt auch noch andere Statuen«, sagte ich.
    »Wir haben hier nur den ollen Tegner«, sagte Klops.
    Wir waren vor einem Stand mit Spielzeug stehen geblieben. Es waren immer noch ziemlich viele Leute auf dem Markt. Das Spielzeug war für kleine Kinder, aber für kleine Kinder war es schon zu spät.
    »Sie haben Glückstüten«, sagte Kerstin.
    Glückstüten waren Tüten mit geheimem Inhalt. Sie kosteten eine Krone das Stück. Der Tüteninhalt sagte einem vielleicht, ob man eine glückliche Zukunft vor sich hatte. Als ich klein war, hatte ich das spannend gefunden. Aber jetzt war es nur noch albern. Man wurde betrogen. Die Dinger sollte man lieber vergessen.
    »Wollen wir welche kaufen?«, fragte ich. Ich weiß nicht, warum ich das tat. Es war die Redekrankheit.
    Die schlimmste Krankheit.
    Ein

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