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Drachenmonat

Drachenmonat

Titel: Drachenmonat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
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»Hast du Hunger, Kerstin?«
    »Ich bin viel zu müde, um darüber nachzudenken. Ich möchte nichts anderes als schlafen.«
    Ich hörte jemanden auf der anderen Seite des Wohnwagens reden. Eine Frau tauchte auf. Mister Swing kam hinter ihr her. Es war die Frau, die ich nackt im Varietezelt gesehen hatte.
    »Das sind sie«, sagte Mister Swing. »Hallo, Kinder«, sagte die Frau. Jetzt war sie angezogen.
    »Das ist Ingrid«, sagte Mister Swing. »Sie tritt im Variete auf.«
    Wir nickten. Ich wusste nicht, ob Kerstin sie erkannte, anscheinend nicht. Aber Kerstin würde in diesem Augenblick vielleicht niemanden erkennen, nicht einmal ihre eigene Mutter. Sie blinzelte und blinzelte, als könnte sie im Stehen einschlafen wie ein Pferd.
    »Ihr dürft heute Nacht in Ingrids Wohnwagen schlafen«, sagte Mister Swing.
    Ingrid lächelte. Jetzt sah sie froher aus als vorhin auf der Bühne.
     
    »Aber wo soll sie dann schlafen?«, fragte ich. »Darum brauchst du dich nicht zu kümmern«, sagte Mister Swing und winkte uns, ihm zu folgen. »Gute Nacht«, sagte Ingrid.
    »Gute Nacht«, sagten wir und folgten Mister Swing. Es roch nach dem Feuer. Ingrids Wohnwagen war nicht weit entfernt und sah genauso aus wie Mister Swings. Die Tür stand halb offen. Drinnen brannte Licht.
    »Es ist noch was zu essen im Kühlschrank, falls ihr Hunger habt. Und fließendes Wasser gibt es auch.«
    Ich nickte.
    »Klopf morgen früh bei mir an die Tür, dann reden wir noch mal«, sagte Mister Swing. Ich nickte wieder. »Gute Nacht also.«
    »Gute Nacht«, antworteten wir im Chor. Kerstins Stimme klang so, als redete sie im Schlaf. Sie schlief im selben Augenblick, als ihr Kopf das Kissen berührte. Es gab zwei Betten, die Ingrid offenbar schon vorbereitet hatte, während wir vor Mister Swings Wohnwagen warteten. Kerstin begann zu schnarchen.
    Ich öffnete den Kühlschrank.
     
    17
     
    Die Wolken waren wie graue Felder, die die ganze Erde bedeckten. Ich flog in einem Autoscooter. Mitten durch die Wolken führte ein grüner Weg, der an der Kreuzung endete, und dort stand Mutter. »Dieser Weg führt nirgends mehr hin«, sagte sie. »Du musst zurückfliegen.« Doch als ich mich umdrehte, war auch der Weg, auf dem ich gekommen war, verschwunden. »Du musst durch die Wolken fliegen«, sagte Mutter. Aber die Wolken waren auch weg. Der Himmel war vollkommen blau, und es waren keine Wege mehr da. Es gab überhaupt nichts mehr. Plötzlich spürte ich einen Ruck. Kerstin hatte mich mit ihrem Autoscooter gerammt. Sie lächelte. »Das hilft nichts«, sagte Mutter. Ich wollte sie fragen, was nichts half und warum, aber sie war verschwunden, während ich Kerstin anschaute. Wieder hörte ich ein Geräusch.
    Es war jemand im Wohnwagen, und ich war aufgewacht, weil sich jemand im Raum bewegte.
    Es war dunkel. Es musste mitten in der Nacht sein. Von draußen war nichts zu hören. Jetzt hörte ich überhaupt nichts mehr.
    Ich hörte auch Kerstin nicht mehr atmen.
    Ich versuchte, selbst nicht mehr zu atmen.
    Mein Wakizashi lag unter dem Kopfkissen, aber ich wagte mich nicht zu bewegen.
    Mein Katana lag auf dem Fußboden neben dem Bett.
    Ich blinzelte und schaute wieder. Meine Augen hatten sich inzwischen ein wenig an die Dunkelheit gewöhnt.
    Tiefer drinnen im Wohnwagen war etwas wie ein langer Schatten, etwas, das dunkler war als die Wände. Ein Schatten neben Kerstins Bett.
    Der Schatten schien sich über Kerstin zu beugen. Er musste auf dem Weg zum Bett an mir vorbeigegangen sein. Das hatte mich geweckt.
    Der Schatten bewegte sich.
    »Hallo!«
    Der Schatten erstarrte.
    Ich spürte einen kalten Luftzug im Gesicht und hob den Kopf. Die Wohnwagentür stand halb offen.
    Hatte ich sie gestern Abend nicht geschlossen?
    Im Augenblick konnte ich mich nicht erinnern. Ich hatte Käse und Wurst aus dem Kühlschrank genommen und mir mehrere Butterbrote gemacht, während Kerstin schon schlief.
    Dann war ich auch eingeschlafen.
    Der Schatten stürmte an mir vorbei!
    Ich versuchte mein Wakizashi unter dem Kissen zu ergreifen, aber es war weggerutscht.
    Hinter mir flog die Tür ganz auf.
    Ich hörte rennende Schritte auf dem Schotter.
    »Kenny?« Das war Kerstin. »Kenny? Was ist los?«
    »Warte«, sagte ich, sprang aus dem Bett und lief die drei Schritte zur Tür, sie schwang auf, als hätte ein Windstoß sie erfasst. Draußen sah ich nichts weiter als Schotter, der im Licht einer nackten Glühlampe weiß schimmerte, die einige Meter entfernt an einem Pfahl hing. Die Birne schwankte

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