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Drachenmonat

Drachenmonat

Titel: Drachenmonat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
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eine, jederzeit auf den Tod vorbereitet zu sein, aber es war etwas anderes, wirklich sterben zu müssen. Ich war noch nicht bereit. Ich wollte nie sterben. Ich wollte, dass Kerstin und ich ewig lebten.
    Wir rannten, weil wir nicht sterben wollten.
    Es waren noch zwanzig Meter bis zur anderen Seite des Feldes. Ich meinte ein Licht zwischen den dunklen Häusern aufblitzen zu sehen, aber dann war es verschwunden. Im Wind, der in Sturmböen daherfegte, bogen sich große Tannen, als würden sie jeden Moment abbrechen. Ich hörte immer noch Schritte. Sie waren jetzt näher.
    Da stolperte Kerstin wenige Meter vor mir. »AU!«, schrie sie.
    »Kerstin!« Ich blieb neben ihr stehen.
    Sie war mit dem Kopf auf der Erde aufgeschlagen. Jetzt hob sie ihn und versuchte sich mit Hilfe der Arme aufzurichten.
    »Auuu!«
    »Ist es der Fuß?«
    »Lauf, Kenny!«
    »Auf keinen Fall.« Ich zog mein Schwert und drehte mich mitten in der Bewegung um.
    Die Schritte waren verstummt.
    Unser Verfolger war also auch stehen geblieben.
    Ich sah eine Gestalt, wie eine Silhouette, mehr nicht, denn es war immer noch dunkel.
    Die Gestalt ragte auf wie ein Baum auf dem Feld oder wie ein großer Wacholder. Sie stand ganz still.
    Ich spürte den Schwertgriff in meinen Händen. Er war kalt, wie der Wind. Ich stand still. Ich war bereit. Das hatte ich jeden Tag trainiert, seit ich Samurai war. Für die Samurais war es das Leben, dieser Moment, wenn man seinem Feind gegenübersteht. Wenn es kein Ausweichen mehr gibt. Das Schwert konnte alle Fragen nach dem Sinn des Lebens beantworten. Ich spürte es im ganzen Körper. Mein Katana war ich, und ich war mein Katana. Wir waren derselbe Körper. Das dachte ich, ohne mir dabei blöd vorzukommen. Plötzlich war ich ruhig wie ein Stein, der niemals auch nur einen Millimeter gerollt ist.
    Ich hörte, wie Kerstin sich hinter mir bewegte.
    Ich sah, wie die Gestalt vor mir sich bewegte.
     
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    »Hallo!?«, schrie ich und merkte, wie ängstlich meine Stimme klang. Aber ich schrie trotzdem. »Hallo!? Wer bist du? Was willst du?«
    Hinter mir stöhnte Kerstin, als versuchte sie wieder, auf die Füße zu kommen.
    Die Gestalt draußen auf dem Feld stand jetzt wie in einer Bewegung erstarrt da. Ich hörte es von der Stelle atmen. Der Wind brachte den Atem mit sich, er kam in Stößen, der Wind war atemlos.
    »Ich glaub, ich kann gehen«, hörte ich Kerstin sagen.
    »Geh«, sagte ich, »geh weg!«
    Selbst wenn man jetzt eigentlich wie ein Weltmeister rennen müsste, wäre gehen besser als stillzustehen. Und doch blieb ich stillstehen. Dadurch war mein Schwert bereit, es war, als kontrollierte ich die Gestalt dort hinten. Wenn ich stillstand, stand sie auch still. Bewegte ich mich, würde sie sich auch bewegen. Würde sie mich angreifen, dann würde ich angreifen.
    Wenn wir noch eine Weile so stehen blieben, würde es hell werden und ich könnte das Gesicht sehen.
    »Ich gehe nicht, wenn du nicht gehst«, sagte Kerstin. »Gib mir das kleine Schwert.«
    »Im Gürtel«, sagte ich.
    Sie kam zu mir und zog das Wakizashi aus dem Gürtel. Ich konnte nicht sehen, ob sie hinkte. Die ganze Zeit behielt ich die Gestalt im Blick. Kerstin stellte sich neben mich.
    »Was willst du?«, sagte sie zu der Gestalt. Sie atmete jetzt ruhiger. Von der Gestalt war nichts mehr zu hören. Der Wind schien wieder gedreht zu haben. Kerstin hatte nicht laut gesprochen, und trotzdem klang es, als müsste man es über das ganze Feld hören bis hin zum Jahrmarkt. »Wer bist du?«
    Und da bewegte sich die Gestalt!
    Ich packte mein Schwert fester.
    Kerstins Worte schien die Gestalt zusammenzucken zu lassen.
    Sie drehte sich um, lief weg!
    Es war, als wären ein Baum oder ein Busch plötzlich lebendig geworden. Das war fast noch unheimlicher als das Stillstehen. »Was macht er?«, sagte Kerstin. »Er flieht«, sagte ich.
     
    Ich hatte das Gefühl, als wären Stunden vergangen, aber es konnten nur wenige Sekunden gewesen sein.
    Die Gestalt war im Morgennebel verschwunden, der in Schwaden aus der Unterwelt des Feldes aufstieg. Nach zwanzig, dreißig Metern hatte sie sich aufgelöst, als hätte es sie nie gegeben.
    Ich schaute auf meine Hände, die das Schwert hielten. Sie zitterten, als hätte ich hohes Fieber. Solange ich still vor der Gestalt gestanden hatte, waren sie ganz ruhig gewesen wie aus Stein.
    Jetzt konnte ich das Schwert kaum noch halten. »Er ist weg, Kenny«, sagte Kerstin.
    Ich senkte das Schwert.
    »Er kommt nicht wieder«, sagte sie. Ihre

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