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Drachenmonat

Drachenmonat

Titel: Drachenmonat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
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überlegte sie, ob Kerstin in ihre Klasse ging oder nicht.
    Während der Fahrt durch die Stadt fiel mir Klops ein. Ich vermutete, dass er an mich dachte und dass er heute Nachmittag wieder zum Jahrmarkt gehen würde, um nachzusehen, ob wir noch da waren.
    Wenn wir nach Hause kommen, schreibe ich ihm einen Brief, dachte ich.
    Wenn wir nach Hause kommen… Im Augenblick entfernten wir uns noch weiter von zu Hause. Kerstin schien nicht gerade glücklich darüber zu sein, dass wir zu ihrer Großmutter fuhren, und sie schien sich auch nicht auf ihren Bruder zu freuen.
    Ich sah ihren Nacken. Er wirkte schmal. Die ganze Kerstin war schmal, aber sie war stark. Beim Armdrücken würde sie mich vielleicht besiegen.
    Plötzlich drehte sie sich um, als hätte sie gespürt, dass ich ihren Nacken betrachtete. Sie lächelte.
    Und ich war gleich besserer Laune.
    Über einem kleinen See, an dem wir gerade vorbeifuhren, ging die Sonne auf. Wenn die Sonne schien, fühlte man sich besser, als wenn es regnete. Bei gutem Wetter war alles leichter auf unserer Flucht. Im November würde kein gutes Wetter sein. Sollten wir dann in ein anderes Land flüchten? Das würde viel Geld kosten. Und ich war auch nicht sicher, ob ich es überhaupt wollte.
    Vielleicht wollte ich jetzt nach Hause fahren. In die Schule gehen. Nein. Nach Hause fahren. Vielleicht. In die Schule gehen. Vielleicht doch. Der Bus stoppte an einer Kreuzung. Ich sah eine Wiese und zwei galoppierende Pferde. Sie sahen frei aus, wie Wildpferde, bis sie jäh vor einem Zaun stehen bleiben mussten, so jäh, als hätten sie nicht gewusst, dass dort ein Zaun war, obwohl sie ihn doch bestimmt schon seit Jahren kannten. Die Pferde sind wie wir, dachte ich, wie Kerstin und ich. Oder nur wie ich. Manchmal glaube ich, ich wäre frei, obwohl ich weiß, dass es nicht so ist. Aber ich vergesse es immer wieder.
    Ich dachte an Mutter. Wusste sie, dass ich abhauen musste? Wusste sie überhaupt, dass ich abgehauen war? Vielleicht war sie jetzt zu Hause und hörte Elvis und wartete darauf, dass jemand kam und ihr erzählte, dass man uns gefunden hatte. Und wenn sie wieder zu Hause war, könnte das Jugendamt mich vielleicht gar nicht wegschicken. Dann konnten sie nicht über mich bestimmen, wie sie wollten. Dann hätte ich ein Zuhause, zu dem ich zurückkehren könnte. Und Kerstin könnte bei uns wohnen, bis ihre Mutter mit dem Schnapstrinken aufhörte, und wenn sie nicht aufhörte, würde Kerstin immer bei uns wohnen bleiben. Ich könnte darüber mit dem Direktor reden. Mutter würde machen, was ich wollte. Ich könnte den Direktor anrufen und fragen, wie es Mutter ging. Das hätte mir schon eher einfallen müssen, schon vorgestern. Er wartete vermutlich auf meinen Anruf. Wenn wir eine Telefonzelle fanden, in dem es noch ein Telefonbuch gab, würde ich ihn anrufen.
    Dann musste ich eingedöst sein.
    Ich wurde wach, weil der Busmotor verstummt war.
    Wir hielten an einer Tankstelle.
    Ich war allein im Bus. Himmel, da hätte ja jeder kommen und mir mein Schwert abnehmen und mich fangen können. Wo war Kerstin?
    Der Busfahrer war auch verschwunden.
    Durchs Fenster sah ich Kerstin draußen stehen. Sie sah mich und winkte.
    »Was hast du gemacht?«, fragte ich, als sie wieder eingestiegen war.
    »Ich war nur auf der Toilette.«
    »Wo sind die Lehrerin und die Kinder?«
    »Die sind da drin, auf der Toilette.«
    »Ich muss auch mal«, sagte ich.
    »Dann geh.«
    »Hoffendich erkennt mich niemand. Die Polizei hat vermutlich alle Tankstellen informiert und gebeten, nach uns Ausschau zu halten.«
    »Hier kümmert sich keiner um den anderen«, sagte Kerstin. »Ich hab mich ein bisschen mit der Lehrerin unterhalten.«
    »Worüber?«
    »Ich hab sie gefragt, wie spät es ist und wohin sie wollen. Sie hat nichts gefragt. Sie weiß ja nicht, dass wir einander kennen, und hat genug mit der Klasse zu tun.«
    »Das ist keine große Klasse.«
    »Es ist nur eine halbe Klasse.«
    »Dann geh ich mal«, sagte ich und stand auf.
    »Ich hab übrigens Hunger«, sagte Kerstin. »Bring was zu essen mit.«
    »Soll ich eine Tüte Geleebonbons kaufen?«
    »Davon krieg ich bloß Bauchschmerzen.«
    »Ich kauf was anderes.«
    Vor der Toilette wartete immer noch eine Schlange. Also ging ich erst zu dem Regal mit den Süßigkeiten. Es gab auch Bananen. Ich drehte zwei von einer kleinen Staude ab und nahm eine Tafel Schokolade. Damit ging ich zur Kasse.
    Als ich bezahlen wollte, sah mich der Mann hinter der Kasse misstrauisch an, ohne

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