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Drachenpfade - Lukianenko, S: Drachenpfade - Ne wremja dlja drakonow

Titel: Drachenpfade - Lukianenko, S: Drachenpfade - Ne wremja dlja drakonow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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… Wie um Himmels willen konnte so ein fast neues, im Ausland produziertes Gerät in Brand geraten?
    Die Isolierung der Drähte, irgendein Pulver im Mikrofon? Aber was sollte da für ein Pulver sein, und das erbsengroße Mikrofon würde doch niemals einen so anhaltenden Brandgeruch verursachen!
    Unvermindert trat beißender Rauch aus. Er musste an einen albernen Streich aus seinen Kindertagen denken. Mit seinem Kumpel hatte er die erstbeste Nummer aus dem Telefonbuch gewählt, und wenn sich jemand meldete, hatten sie mit energischer, erwachsener Stimme in den Hörer geschrien: »Feuer! In der Telefonzentrale ist Feuer ausgebrochen! Werfen Sie den Hörer sofort in einen Wassereimer!« Dabei hatten sie sich gar nicht mehr eingekriegt vor Lachen. Dennoch, vielleicht …
    Noch eine Sekunde, und ich fange an zu lachen. Fürchterlich, hysterisch zu lachen, während hinter mir ein Kind
stirbt … Das war der richtige Gedanke gewesen. All die wirren Albernheiten in seinem Kopf verflüchtigten sich. Viktor ließ die armseligen Überreste des Hörers liegen und ging zu dem Mädchen – es war noch immer bei Bewusstsein, das war gut. Aber woher rührte diese Blässe?
    Er beugte sich über die unerwartete Patientin und schob vorsichtig den blutigen Pullover hoch. Das Mädchen drehte sich ein wenig, um ihm dabei zu helfen. Tapfere Kleine.
    Der Pulli ließ sich leicht hochziehen, das war gut, aber auch seltsam. Gut, weil es bedeutete, dass das Blut frisch war und die Kleidung noch nicht an der Wunde klebte – also musste auch die Verletzung frisch sein. Seltsam, denn eine frische Wunde müsste eigentlich noch weiter bluten.
    »Wie sieht es aus?«, fragte das Mädchen. Ganz ruhig, ohne jenen melodramatischen Beiklang, wie man ihn oft bei erwachsenen Frauen hört, die sich in den Finger geschnitten haben.
    »Ganz gut«, antwortete Viktor, erstaunlicherweise im gleichen gelassenen Tonfall.
    Er war auf alles Mögliche gefasst. Eine klaffende Wunde, die von einem abgebrochenen Flaschenhals herrührte, oder sogar darauf, dass gar keine Kratzer auf der Haut zu sehen waren, denn womöglich tat die Kleine nur ihren Job und diente einer Bande minderjähriger Gauner als Türöffner.
    Und er hatte noch immer nicht die Tür geschlossen!
    Aber es gab eine Wunde. Ein dünner, fast chirurgisch anmutender Schnitt. Der nicht mehr blutete.
    »Sie haben mich nur leicht erwischt«, sagte das Mädchen, als ob es seine Gedanken lesen könnte. »Beim Übergang. Es hat nicht wehgetan, aber das Blut lief in Strömen …«

    »Beim Übergang – die Unterführung also, alles klar …«
    Viktor blickte wie gebannt auf die Wunde. Das Mädchen hatte Glück gehabt. Offensichtlich hatten sie mit einer Rasierklinge zugeschlagen. Aber der Schnitt war nicht tief und die Haut nur oberflächlich verletzt. Das Mädchen schien eine gute Blutgerinnung zu haben. Und sie hatte nicht die Fassung verloren. Viktor mochte es überhaupt nicht, nachts durch die Unterführung zu gehen – und er war immerhin ein erwachsener und ziemlich kräftiger Mann. Ständig war die Beleuchtung kaputt, es stank ekelhaft, und in den finsteren Ecken raschelten die Obdachlosen, die sich für die Nacht einrichteten. Da war sie also überfallen worden. Schweine. Aber diese Kleine war ein tapferes Kerlchen. Hatte sich losgerissen und war in den nächsten Hauseingang gelaufen, und erst dort war sie zusammengeklappt, aber zum Glück nicht wegen Blutverlusts, wie er zuerst gedacht hatte.
    »Alles wird wieder gut«, sagte er. »Ganz bestimmt. Es ist nur eine Schnittwunde, die nicht mal genäht werden muss. Ich desinfiziere sie nur.«
    »Gut, Viktor.«
    Sie blickte ihm prüfend und ernst in die Augen. Nicht wie ein Kind.
    Und sie kannte seinen Namen.
    »Woher kennst du mich?«, fragte Viktor scharf.
    Das Mädchen schwieg.
    Es sah ganz so aus, als würde diese Nacht keine einfachen Antworten für ihn bereithalten.
    Viktor ging in den Flur. Eilig schloss er die Eingangstür ab. Er war etwas verwirrt, dennoch nahm er den Schlüssel für das zweite Schloss vom Nagel an der Wand und schloss – was er sonst nie tat – auch dieses ab.

    Das hieß es also, sich zu verbarrikadieren! Eine klapprige Tür aus Sperrholz und zwei dürftige Standardschlösser. Mein Haus ist meine Festung …
    Nachtschwarz zeigen sich die Wände
und die Kuppeln perlmuttweiß,
hat die Trauer hier ein Ende,
unsrer Träume Festung sei’s.
     
    Glatt-blau plätschert eine Welle,
Sonnenhonig strömt herab,
aus dem Wolkenland zur

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