Drachenpfade - Lukianenko, S: Drachenpfade - Ne wremja dlja drakonow
Welle. Wie unmittelbar nach dem Übergang, als ihn im eisigen Wasser des Sees eine Art Wahnsinn befallen hatte.
Sie wollten also ein Schauspiel aus ihm machen!
Ein Lehrstück für minderjährige Banditen!
Er merkte nicht einmal, wie das Schwert in seine Hand glitt, die Finger eisern den Griff umfassten – leicht, geübt, als wäre er damit vertraut. Der Tisch wackelte vom Stoß seines Körpers, Viktor drehte sich um, schleuderte den Stuhl nach hinten. Mit einem traurigen Klirren zerbrach der Pokal mit einem Rest Sprudelnden Tages auf dem Boden.
»Du!«, brüllte Viktor und streckte die Klinge in Richtung des Räubers aus. Und in seinem Schrei erklang kein Aufruf und keine Drohung, sondern eine Feststellung, ein Versprechen, dass etwas geschehen würde … weit mehr als das, wozu er fähig war.
»Herrscher …« Der Räuber sprang vom Tisch auf und fiel vor Viktor auf die Knie. »Herr, ich bin gekommen … ich habe meine Söhne mitgebracht …«
Noch in der Hitze des frischen Zorns sah Viktor, wie die Jungen sich neben den Vater zu Boden fallen ließen, sich ausstreckten – bereit, den Schlag seines Schwertes zu empfangen. Nur der Jüngste wagte es, den Kopf ein wenig zu heben und ihn anzusehen, aber sein Blick war nicht erfüllt von Hass oder Furcht, sondern von einer eifrigen, begeisterten Neugier.
So hatte Moses vermutlich den brennenden Dornbusch angesehen oder die Apostel den erzürnten Jesus.
»Wie es euch beliebt, Herrscher …«
Viktor schwieg, er wusste nicht, was er mit diesen Leuten anstellen sollte und was eigentlich vor sich ging. Verlangte ein geschenktes Leben in der Mittelwelt tatsächlich nach einer solch hündischen Ergebenheit?
»Wollt ihr das Bier noch?«, fragte Rada hinter dem Tresen hervor. Viktor bemerkte, dass das Mädchen schnell etwas verbarg.
Vielleicht hatte das Schicksal Konam keine Söhne gegönnt, aber seine Tochter war jedenfalls in der Lage, für sich einzustehen.
»Bring ihnen Bier, Rada …«
Viktor trat auf den Räuber zu. »Wie heißt du?«
Der Mann hob den Kopf und blickte ihn an, als könnte er nicht glauben, dass Viktor sich zu einem Gespräch mit ihm herabließ.
»Verzeiht, dass wir Eure Ruhe gestört haben …«
»Wie ist dein Name?«
»Ich bin der Grenzer …«
Vielleicht hatte der Räuber auch einen richtigen Namen außer diesem Spitznamen, aber Viktor war das egal. »Also gut, Grenzer, warum seid ihr gekommen?«
»Um Euch zu dienen, Herrscher.«
»Ich brauche niemandes Dienste!«
»Ja, Herrscher … dann tötet uns, Herr …«
Es wurde nicht einfacher! »Steh auf. Und deine Söhne auch. Trinkt euer Bier, und geht dann in die Eingangshalle. Wartet dort auf mich.« Diese präzisen Anweisungen schienen die richtige Taktik zu sein. Der Grenzer sprang auf, half seinen Söhnen mit Fußtritten auf die Beine, und nach wenigen Augenblicken hatten sie ihre Krüge geleert und verließen das Restaurant.
»Und wer bezahlt ihr Bier?«, fragte Rada. Allerdings erst, als die Familie sich bereits entfernt hatte, denn offensichtlich hatte sie das Gespräch nicht unterbrechen wollen.
»Ich.« Schweigend holte Viktor ein Goldstück aus dem Säckchen. »Rada, wer sind sie?«
»Was für eine Frage! Das wirst du ja wohl besser wissen, Doktor!«
»Bitte glaub mir, Rada, ich habe keine Ahnung.«
»Also wirklich … das kann ich kaum glauben.« Das Mädchen musterte ihn jetzt mit sehr viel mehr Interesse als zuvor. »Ich weiß auch nicht viel. Entlang der Grauen Grenze gibt es Höfe, jeder besteht aus jeweils zwei, drei Häusern. Es heißt, die Leute dort seien die Nachkommen von Soldaten aus jener Armee vor langer Zeit, deren Tote hinter der Grenze einfach keinen Frieden finden. Es gibt menschliche Gehöfte und solche für Elfen und Gnome. Die Leute dort pflegen mit niemandem Umgang außer mit ihresgleichen. Ganz selten kommen sie in die Dörfer. Es gibt Gerüchte …«, Rada schwieg einen Augenblick und sah Viktor prüfend an, »dass diese Höfler auf den Wegen um die Grenze herum manchmal Reisende überfallen und ausplündern. Sie haben ihre eigenen Sitten, ihren eigenen Glauben und ihre eigenen Gesetze. Sie nennen sich die Wächter der Grenze. Ein seltsames Volk.«
»Und?«
»Was und? Mehr weiß ich auch nicht.«
»Gibt es hier einen Hinterausgang?«
»Aus dem Restaurant? Willst du Reißaus nehmen?«
»Ja.«
Rada schüttelte den Kopf. »Es gibt einen Ausgang. Aber das wird dir nichts nützen. Hast du ihre Augen nicht gesehen?« Viktor nickte widerwillig.
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