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Drachenreiter

Titel: Drachenreiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornelia Funke
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aus wie ein riesiger Hahn, mit gelbem Gefieder und breiten dornigen Flügeln. Die Augen des Scheusals waren blutrot und starr und auf dem abscheulichen Kopf trug es wie eine Krone einen Kranz bleicher Stacheln. Sein Schwanz ringelte sich wie der Schuppenleib einer Schlange und an seinem Ende schnappte eine Klaue nach unsichtbarer Beute. Langsam stakste das Ungetüm auf Lung zu.
    Der Drache konnte kaum atmen. Ihm schwindelte von dem Gestank. Er wich zurück, bis sein Schwanz sich in den Dornenranken vor der Höhle verfing.
    »Aaah, duuu hast mich geweckt!«, krächzte das abscheuliche Geschöpf. »Ein Drache! Ein Feuerwurm! Dein süßlicher Geruch ist in meinen dunkelsten Traum gedrungen und hat ihn zerstört. Was suchst du hier in meiner Höhle?«
    Lung schüttelte die Dornenranken von seinem Schwanz und machte einen Schritt auf das Ungeheuer zu. Der Gestank, der es umgab, machte ihm immer noch das Atmen schwer, aber die Scheußlichkeit des seltsamen Wesens erschreckte ihn nicht länger. »Ich wusste nicht, dass es deine Höhle ist«, antwortete er. »Verzeih mir, aber wenn du erlaubst, werde ich noch bis zur Dunkelheit hier bleiben. Ich weiß nicht, wo ich mich sonst vor den Menschen verbergen soll.«
    »Vor den Menschen?«, zischte das Scheusal. Es öffnete den krummen Schnabel und lachte. »Du flüchtest dich vor den Menschen in meine Höhle? Das ist gut. Das ist wirklich gut.«
    Lung blickte den scheußlichen Hahn neugierig an. »Wer bist du?«, fragte er. »Ich habe noch nie von einem Wesen wie dir gehört.«
    Mit einem schrillen Krähen breitete der Hahn die dornigen Flügel aus. Käfer und Spinnen fielen tot aus seinem Gefieder. »Du kennst meinen Namen nicht?«, kreischte er. »Du kennst meinen Namen nicht, Feuerwurm? Ich bin der größte Alptraum dieser Welt, und du hast mich aus meinem Schlaf gerissen. Du bist das Licht, aber ich bin die allerschwärzeste Dunkelheit und ich werde dich verschlucken. Wir beide können nicht am selben Ort sein. Genauso wenig wie Tag und Nacht.«
    Lung stand da wie angewurzelt. Er versuchte sich zu bewegen. Er wollte den scheußlichen Hahn mit seinem Feuer zurück in den Spalt treiben, aus dem er gekrochen war, aber er konnte sich einfach nicht rühren. Die Augen des Ungeheuers begannen zu funkeln. Die Stacheln auf seinem Kopf zitterten. »Sieh mich an, Feuerwurm!«, flüsterte der gelbe Hahn. »Sieh - ganz - tief - in meine Augen.«
    Lung wollte sich abwenden, aber die roten Augen ließen ihn nicht los. Sie füllten seinen Kopf mit schwarzem Nebel. Alles versank darin, alles, was er wusste.
    Da plötzlich riss ein scharfer Schmerz ihn aus der Betäubung. Jemand hatte auf seinen Schwanz getreten, mit aller Kraft. Lung fuhr herum - und sah einen Menschen im Eingang der Höhle stehen, einen spindeldünnen Mann in kurzen Hosen. In den Händen hielt er einen Spiegel - einen großen, runden Spiegel. Er hielt ihn hoch über seinen Kopf.
    Lung hörte den Hahn hinter sich mit den Flügeln schlagen.
    »Spring zur Seite, Drache!«, rief der Mann. »Schnell! Spring zur Seite und sieh ihn nicht an, wenn dir dein Leben lieb ist!«
    »Nein, sieh her zu mir, Feuerwurm!«, kreischte der Hahn und peitschte seinen Schlangenschwanz gegen die Felsen. »Sieh her!«
    Aber Lung sah den Menschen an, trat zur Seite - und das Ungeheuer erblickte sein eigenes Spiegelbild.
    Es stieß einen so scheußlichen Schrei aus, dass Lung ihn noch viele Tage in den Ohren behielt. Dann schlug es mit den Flügeln, bis der ganze Höhlenboden mit seinen giftgelben Federn bedeckt war, blähte sich auf, bis seine Kopfstacheln die Grottendecke streiften - und zerplatzte in tausend Stücke. Ungläubig blickte Lung auf die Stelle, an der das Ungeheuer gestanden hatte.
    Der Mann neben ihm ließ erschöpft den Spiegel sinken. »Du meine Güte, das war knapp!«, seufzte er und lehnte den Spiegel an die Höhlenwand.
    Lung stand wie betäubt da und starrte auf die Reste des Ungeheuers. Nichts war von ihm übrig als Federn und stinkender Staub.
    Der Mann räusperte sich und trat vorsichtig auf den Drachen zu. »Darf ich mich kurz vorstellen?« Er machte eine kleine Verbeugung. »Barnabas Wiesengrund, Professor der Archäologie, Spezialgebiet Phantastische Erscheinungen aller Art. Es ist mir eine große Ehre, deine Bekanntschaft zu machen.«
    Lung nickte benommen.
    »Dürfte ich dich wohl bitten«, fuhr Barnabas Wiesengrund fort, »dein Drachenfeuer auf die Überreste dieser abscheulichen Kreatur zu spucken? Nur so können wir

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