Drachenreiter
hat.
»Oh, oh! Hast du gewusst? Merk dir das, Fliegenbein!«, flüsterte der Winzling. »Behalte dein Herz, wenn dir dein Leben lieb ist. Sehr alt bist du so schon geworden, älter als all deine Brüder, älter als dein Schöpfer. Werde nicht närrisch auf deine alten Tage und häng dein Herz an einen Menschen.«
Er sprang auf und blätterte zurück zu der Stelle, an der Ben das Buch aufgeschlagen hatte. Dann sah er hinauf zur Sonne. Ja, es wurde Zeit für einen Bericht an seinen Meister. Zwei Tage hatte er schon nicht mehr von sich hören lassen. Aber es gab schließlich auch nichts zu berichten.
Fliegenbein drehte sich um und sah den kleinen Menschen an. Morgen. Morgen Nacht würden sie die Schlucht des Dschinns erreichen. Und wenn der wirklich die Antwort wusste, die Antwort, nach der sein Meister nun schon mehr als hundert Jahre suchte, dann würde Nesselbrand sich auf den Weg machen zum Saum des Himmels, um endlich wieder auf die Jagd zu gehen.
Fliegenbein schauderte. Nein, darüber wollte er nicht nachdenken. Was ging ihn das an? Er war nur der Panzerputzer seines Herrn. Er tat, was Nesselbrand von ihm verlangte, seit er, Fliegenbein, aus einem kleinen, bunten Glas geschlüpft war wie ein Küken aus dem Ei. Was bedeutete es schon, dass er seinen Herrn nicht leiden konnte? Wichtig war nur, dass ihn sein Meister mit einem Haps verschlingen würde, wenn er ihm nicht die Antwort brachte, auf die er nun schon so lange wartete.
»Pass auf dein Herz auf, Fliegenbein«, flüsterte der Homunkulus. »Geh jetzt und mach deine Arbeit.«
Kurz bevor Lung gelandet war, hatte Fliegenbein Wasser in der Nähe blitzen sehen, in einer alten Zisterne, die lange schon niemand mehr benutzte und die trotzdem immer noch das kostbare Regenwasser sammelte. Der Homunkulus wollte sich gerade auf den Weg dorthin machen, da spürte er, wie Ben sich regte. Schnell versteckte er sich hinter dem nächsten Stein.
Der Junge setzte sich verschlafen auf, gähnte und räkelte sich. Dann stand er auf und kletterte auf die hohe Mauer, hinter der sie ihr Lager aufgeschlagen hatten. An diesem Tag hatte Lung ein ganzes Stück ins Landesinnere fliegen müssen, bis sie auf einem Hügel zwischen Weihrauchbäumen, die wie abgestorben aus der sandigen Erde wuchsen, eine zerfallene Festung entdeckt hatten. Der Hof war immer noch umgeben von Mauern, aber die Gebäude dahinter waren eingestürzt und vom Sand zugeweht. Nur Eidechsen wohnten noch hier und ein paar Schlangen, die Schwefelfell bei ihrer Ankunft mit Steinen verscheucht hatte. Ben setzte sich oben auf die Mauer, ließ die Beine baumeln und blickte nach Süden. Hohe Berge erhoben sich dort in den heißen Himmel und verstellten den Horizont.
»Jetzt kann es nicht mehr weit sein«, hörte Fliegenbein ihn murmeln. »Wenn der Professor Recht hatte, sind wir morgen in der Schlucht.«
Fliegenbein lugte hinter seinem Stein hervor. Einen Moment lang wollte er sich dem Jungen zeigen, der da so gedankenverloren in die Ferne starrte. Aber dann überlegte er es sich doch anders. Lautlos, mit einem schnellen Blick zur schlafenden Schwefelfell, schlich er sich zurück zum Rucksack und verschwand wie eine Eidechse zwischen Bens Sachen. Der Bericht an den Meister musste warten.
Ben blieb noch eine ganze Weile auf der Mauer sitzen. Aber irgendwann seufzte er und fuhr sich übers Gesicht, das von der Sonne brannte. Mit einem Satz sprang er in den Sand und lief zu Schwefelfell.
»He, Schwefelfell«, sagte er leise und rüttelte das Koboldmädchen an der Schulter. »Wach auf.«
Schwefelfell streckte sich und blinzelte in die Sonne. »He, es ist doch noch ganz hell!«, zischte sie und sah sich nach Lung um, der friedlich im Schatten der alten Festungsmauern schlief.
»Ja, aber du hast mir versprochen, dass wir über die Frage nachdenken. Du weißt schon.«
»Ach ja, die Frage«, Schwefelfell rieb sich die Augen. »Na gut, aber nur, wenn wir erst was essen. Diese Hitze macht hungrig.« Auf pelzigen Sohlen tapste sie durch den heißen Sand zu ihrem Rucksack. Ben ging grinsend hinterher.
»Die Hitze, dass ich nicht lache«, sagte er spöttisch. »Seit wir unterwegs sind, hatten wir schon Regen und Sturm und wer-weiß-was für 'n Wetter. Aber du warst immer hungrig.«
»Na und?« Schwefelfell zog den Beutel mit den Pilzen aus ihrem Rucksack, schnupperte genüsslich daran und leckte sich die Lippen. Dann legte sie zwei große Blätter in den Sand und schüttete die Pilze darauf. »Hm! Was ess ich denn
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