Drachenreiter
uns hergebracht hat. Außerdem - seit dieser Spiongeschichte bin ich sehr vorsichtig geworden.« Fliegenbein konnte es nicht verhindern, er zuckte zusammen, als er das Wort >Spion< hörte.
»Mein lieber Fliegenbein«, sagte der Professor. »Irgendwie siehst du krank aus. Bekommt dir das Fliegen etwa nicht?«
»Ich find auch, er sieht nicht gut aus«, stimmte Ben zu und guckte Fliegenbein schon wieder so besorgt von der Seite an.
»Nein, nein«, stammelte der Homunkulus. »Wirklich, es ist nichts. Ich mag nur die Hitze nicht. Ich bin sie nicht gewöhnt«, er wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Ich bin für die Kälte geschaffen. Für Kälte und Dunkelheit.«
Ben sah ihn überrascht an. »Wieso? Ich denk, du kommst aus Arabien?«
Fliegenbein blickte ihn erschrocken an. »Arabien? Ich, ähm, stimmt, aber ...«
Barnabas Wiesengrund ersparte dem Homunkulus die schwierige Antwort. »Entschuldigt, dass ich euch unterbreche«, sagte er und zeigte nach vorn, »aber wir sind gleich am Grabmal. Das da oben ist es. Und da ist auch Vita!« Er winkte - und ließ erschrocken die Hand sinken. »Du meine Güte! Siehst du das, mein Junge?«
»Ja«, antwortete Ben und runzelte die Stirn. »Da warten schon zwei fette Raben auf uns.«
AM GRABMAL DES DRACHENREITERS
Das Grabmal des Drachenreiters stand auf der Kuppe eines flachen Hügels. Mit seinen grauen Säulen sah es aus wie ein kleiner Tempel. Aus jeder Himmelsrichtung führte eine Treppe hinauf. Am Fuß der nördlichen Treppe stiegen Lungs Reiterinnen ab und Subaida Ghalib führte den Drachen die ausgetretenen Stufen hinauf. Guinever zog Schwefelfell hinter sich her und winkte ihrer Mutter zu, die oben zwischen den Säulen stand und ihnen erwartungsvoll entgegensah. Drei Katzen strichen um ihre Beine, aber sie huschten davon, als sie den Drachen sahen.
Das Grabmal sah sehr alt aus. Die Steinkuppel, die von Säulen getragen wurde, war noch gut erhalten. Aber die Grabkammer darunter war an einigen Stellen eingestürzt. Die Mauern waren verziert mit Blüten und Ranken aus weißem Stein. Als Lung die Treppe heraufkam, erhoben sich die beiden Raben, die auf der Kuppel hockten, und flogen krächzend davon. Aber sie blieben in der Nähe, zwei schwarze Punkte am wolkenlosen Himmel. Die Affen, die auf den obersten Stufen hockten, sprangen kreischend davon und kletterten in die Bäume am Fuß des Hügels. Lung trat mit Subaida zwischen die Säulen des Grabmals und beugte den Hals vor der Frau des Professors.
Vita Wiesengrund erwiderte die Verbeugung. Sie war fast ebenso lang und dünn wie ihr Mann. Ihr dunkles Haar wurde schon grau. Lächelnd legte sie die Arme um ihre Tochter und blickte erst den Drachen und dann Schwefelfell an.
»Wie wunderschön euch alle zu sehen«, sagte sie. »Und wo ist der Drachenreiter?«
»Hier, meine Liebe!«, rief Barnabas Wiesengrund und zog Ben die letzte Stufe hinauf. »Er hat mich gerade gefragt, wieso dieser Ort >Grabmal des Drachenreiters< heißt. Willst du es ihm erzählen?«
»Nein, das sollte Subaida tun«, antwortete Vita Wiesengrund. Sie lächelte Ben an und setzte sich mit ihm auf den Rücken eines steinernen Drachen, der vor dem Grabmal Wache hielt. »Die Geschichte vom Drachenreiter war nämlich fast vergessen«, raunte sie dem Jungen zu, »bis Subaida sie wieder entdeckt hat.«
»Ja, das stimmt. Obwohl sie wahr ist.« Subaida Ghalib warf einen Blick zum Himmel. »Diese Raben müssen wir im Auge behalten«, murmelte sie. »Die Katzen haben sie kein bisschen erschreckt. Aber jetzt die Geschichte... «
Sie lehnte sich gegen den Kopf des steinernen Drachen. »Also - vor etwa dreihundert Jahren«, sie blickte Ben an, »lebte in dem Dorf dort unten ein Junge, nicht älter als du. In jeder Vollmondnacht saß er am Strand und sah zu, wie die Drachen aus den Bergen kamen, um im Mondlicht zu baden. Aber eines Nachts sprang er ins Meer, schwamm zu ihnen hinaus und kletterte einem von ihnen auf den Rücken. Der Drache ließ es geschehen und der Junge blieb sitzen, bis der Drache sich aus dem Wasser erhob, und flog mit ihm davon. Seine Familie war erst sehr traurig, aber jedes Mal, wenn die Drachen wiederkamen, kam auch der Junge wieder, Jahr für Jahr, bis er so alt war, dass sein Haar weiß wurde. Da kehrte er ins Dorf zurück, um seine Geschwister noch einmal zu sehen und deren Kinder und Enkel. Aber kaum war er zurück, wurde er krank, so krank, dass niemand ihm helfen konnte. Eines Nachts, als das Fieber den
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