Drachenreiter
Drachenreiter besonders schlimm schüttelte, kam ein einzelner Drache aus den Bergen herab. Er kam, obwohl kein Mond schien. Er setzte sich vor die Hütte des Drachenreiters und hüllte sie in blaues Feuer. Und erst als die Morgendämmerung kam, flog er wieder davon. Der Drachenreiter aber wurde wieder gesund und lebte noch viele, viele Jahre, so viele, dass irgendwann niemand sie mehr zählte. Und solange er lebte, fiel jedes Jahr genug Regen auf die Felder des Dorfes und die Netze der Fischer waren voll. Als er schließlich doch starb, bauten die Menschen aus Verehrung für ihn und die Drachen dieses Grabmal. In der Nacht nach seiner Bestattung kam wieder ein einzelner Drache und blies sein Feuer auf die weißen Mauern. Seither, sagt man, findet jeder Kranke Heilung, der seine Hand auf diese Steine legt. Wenn nachts die Kälte über das Land kommt und die Menschen frieren, finden sie hier einen warmen Ort, denn die Steine sind immer warm, als wohne das Feuer des Drachen in ihnen.«
»Stimmt das wirklich?«, fragte Ben. »Das mit den warmen Steinen? Haben Sie es schon mal ausprobiert?«
Subaida Ghalib lächelte. »Natürlich«, sagte sie. »Es ist genau so, wie die Geschichte sagt.«
Ben strich über die uralten Mauern und legte seine Hand in eine der steinernen Blüten, die sie schmückten. Dann sah er Lung an.
»Du hast mir gar nicht erzählt, dass du solche Kräfte hast«, sagte er. »Hast du auch schon mal jemanden gesund gemacht?«
Der Drache nickte und beugte seinen Kopf zu ihm herab. »Sicher. Kobolde, verletzte Tiere, alle, die sich in mein Feuer stellten. Menschen nie. Da, wo Schwefelfell und ich herkommen, glauben die Menschen, dass Drachenfeuer verbrennt und zerstört. Hast du etwas anderes geglaubt?«
Ben schüttelte den Kopf.
»Ich will euch ja nicht bei eurer schönen Geschichtenerzählerei stören«, knurrte Schwefelfell. »Aber guckt mal zum Himmel.« Die Raben waren wieder näher gekommen und kreisten mit heiserem Krächzen über der Steinkuppel des Grabmals.
»Zeit, die Burschen zu vertreiben.« Schwefelfell setzte sich neben Ben auf den Steindrachen und griff in ihren Rucksack. »Seit wir diesen Raben über dem Meer loswerden mussten, geh ich nirgendwo mehr hin ohne eine schöne Pfote voll Steinchen.«
»Ah, du willst es mit Koboldspucke versuchen«, sagte Vita Wiesengrund.
Schwefelfell grinste sie an. »Du sagst es. Pass auf.« Sie wollte gerade in ihre Pfote spucken, als Fliegenbein plötzlich von Bens Schulter auf ihre sprang.
»Schwefelfell«, rief er aufgeregt. »Schwefelfell, lass Lung sein Feuer auf den Stein spucken!«
»Wieso?« Erstaunt sah Schwefelfell ihn an. Dann krauste sie missbilligend die Nase. »Was soll das, Winzling? Rede nicht in Sachen hinein, von denen du nichts weißt. Das ist Koboldzauber, verstanden?« Und wieder spitzte sie die Lippen, um auf die Steine zu spucken.
»Du sturköpfiges Spitzohr!«, rief Fliegenbein verzweifelt. »Siehst du nicht, dass das seltsame Raben sind? Oder machst du die Augen nur auf, um einen Pilz vom anderen zu unterscheiden?«
Schwefelfell knurrte ihn böse an. »Was redest du da? Rabe ist Rabe.«
»Nein, keineswegs!«, rief Fliegenbein und fuchtelte so aufgeregt mit den Armen herum, dass es ihn fast umriss. »Rabe ist nicht gleich Rabe, Fräulein Ach-so-schlau-und-weiß-alles! Und die da wirst du nur verärgern mit deinen dummen Steinchen. Sie werden fortfliegen und es ihrem Meister sagen. Sie erzählen ihm, wo wir sind, und er wird uns finden und ...«
»Reg dich ab, Fliegenbein«, sagte Ben und klopfte dem Homunkulus beruhigend den Rücken. »Was sollen wir denn machen?«
»Das Drachenfeuer!«, rief Fliegenbein. »Ich habe es in dem Buch gelesen. In dem Buch des Professors. Es kann ...«
»Es kann verzauberte Wesen in das zurückverwandeln, was sie sind«, sagte Barnabas Wiesengrund und blickte nachdenklich hinauf zum Himmel. »Ja, das sagt man. Aber wie kommst du darauf, dass das da oben Zauberraben sind, mein lieber Fliegenbein?«
»Ich, ich...«, Fliegenbein spürte, wie Schwefelfell ihn misstrauisch ansah. Hastig kletterte er zurück auf Bens Schulter. Aber auch der Junge blickte ihn erstaunt an.
»Ja, wie kommst du darauf, Fliegenbein?«, fragte er. »Nur wegen der roten Augen?«
»Genau!«, rief der Homunkulus erleichtert. »Wegen der roten Augen. Genau. Es ist doch allgemein bekannt, dass verzauberte Wesen rote Augen haben.«
»Ach ja?« Vita Wiesengrund sah ihren Mann an. »Hast du davon schon gehört,
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