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Drachenreiter

Titel: Drachenreiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornelia Funke
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staubiges Taschentuch aus der Hosentasche und tupfte dem kleinen Mann das Gesicht ab.
    »Er war mein Meister«, stammelte der Homunkulus. »Ich habe seine Schuppen poliert. Ich habe seine Krallen geschnitten und ihm tausendundeinmal seine Heldentaten erzählt, von denen er das Maul nicht voll bekommen kann. Ich war sein Panzerputzer, seit ich geschaffen worden bin, aus was, weiß ich nicht.« Er schluchzte wieder los. »Wer weiß, vielleicht bin ich ja auch nichts als ein Krebs mit klappernden Scheren. Wer weiß? Auf jeden Fall hat mich derselbe Mensch in diese Welt gesetzt, der Nesselbrand geschaffen hat. Vor vielen hundert Jahren, dunklen, kalten, einsamen Jahren. Elf Brüder hatte ich und Nesselbrand hat sie alle gefressen.« Fliegenbein schlug die Hände vors Gesicht. »Auch unseren Schöpfer hat er gefressen. Und euch will er auch fressen. Euch und alle Drachen. Alle.«
    Guinever trat plötzlich neben Ben. Sie strich sich das lange Haar aus der Stirn und sah den Homunkulus mitleidig an. »Warum will er alle Drachen fressen?«, fragte sie. »Er ist doch selbst ein Drache, denk ich.«
    »Er ist kein Drache!«, antwortete Fliegenbein schluchzend. »Er sieht nur so aus. Er jagt die Drachen, weil er dafür geschaffen ist. Wie eine Katze, die geboren wurde, um Mäuse zu fangen.«
    »Was?« Ungläubig guckte Barnabas Wiesengrund über Bens Schulter. »Nesselbrand ist kein Drache? Was ist er dann?«
    »Ich weiß es nicht«, flüsterte Fliegenbein. »Ich weiß nicht, aus welchem Geschöpf der Alchimist ihn gemacht hat. Sein Panzer ist aus unzerstörbarem Metall, aber was sich darunter verbirgt, weiß niemand. Der Schöpfer hat Nesselbrand das Aussehen eines Drachen gegeben, damit er sich bei der Jagd besser an sie heranschleichen kann. Jeder Drache weiß, dass er vor den Menschen besser flieht, aber kein Drache flieht vor einem anderen Drachen.«
    »Das ist wahr!« Subaida Ghalib nickte nachdenklich. »Aber wozu brauchte der Alchimist ein Ungeheuer, das Drachen tötet?«
    »Für seine Experimente.« Fliegenbein wischte sich mit einem Zipfel seiner Jacke die Tränen aus den Augen. »Er war ein sehr begabter Alchimist. Wie Ihr an mir seht, hatte er das Geheimnis entdeckt Leben zu schaffen. Aber er wollte noch mehr. Er wollte Gold machen, wie alle Alchimisten seiner Zeit. Die Menschen werden ganz verrückt, wenn es um Gold geht, nicht wahr?«
    Vita Wiesengrund fuhr Guinever übers Haar und nickte. »Ja, einige schon«, sagte sie.
    »Nun, mein Schöpfer ...«, fuhr Fliegenbein mit zittriger Stimme fort, »... stellte fest, dass eins zum Goldmachen unerlässlich ist. Er brauchte die gemahlenen Hörner der Drachen dazu, sie bestehen aus einem Stoff, der noch seltener als Elfenbein ist. Doch alle Ritter, die er damit beauftragte, für ihn zu jagen und ihm die Hörner zu bringen, erlegten nicht genug Drachen. Er brauchte mehr, viel mehr, für seine Experimente. Also schuf er sich seinen eigenen Drachentöter.« Fliegenbein sah Lung an. »Er gab ihm die Gestalt der echten Drachen, aber er machte ihn viel, viel größer und stärker als sie. Nur fliegen konnte Nesselbrand nicht, denn der Alchimist hüllte ihn in einen schweren Panzer aus unzerstörbarem Metall, dem selbst das Drachenfeuer nichts anhaben konnte - und dann schickte er Nesselbrand auf die Jagd.«
    Fliegenbein schwieg für einen Moment und sah aufs Meer hinaus, wo Fischerboote auf dem Wasser trieben.
    »Er fing sie alle«, fuhr der Homunkulus fort. »Er kam über sie wie ein Sturm. Tag und Nacht machte mein Schöpfer nun seine Experimente. Dann plötzlich verschwanden die Drachen. Nesselbrand suchte sie überall, bis seine Krallen stumpf waren und seine Glieder schmerzten. Aber sie blieben verschwunden. Mein Schöpfer tobte. Bald musste er all seine Versuche aufgeben. Aber er merkte schnell, dass das nicht seine größte Sorge war. Nesselbrand begann sich zu langweilen, und je mehr er sich langweilte, desto bösartiger und jähzorniger wurde er. Der Alchimist schuf die Zauberraben, die die Welt absuchten nach den verschwundenen Drachen, aber vergebens. Da verschlang Nesselbrand in seiner Wut zuerst all meine Brüder. Nur mich ließ er übrig, weil er einen Panzerputzer brauchte.« Fliegenbein schloss bei der Erinnerung die Augen. »Und dann, eines Tages«, fuhr er leise fort, »als wieder ein Rabe ohne Nachricht von den Drachen zurückkehrte, verschlang Nesselbrand, der Goldene, unseren Schöpfer und damit das Geheimnis seiner Herkunft. Doch Drachen ...«, er hob den

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