Drachenreiter
Kopf und sah Lung an, »Drachen sucht er immer noch. Die letzten, die er gefunden hat, sind ihm entkommen. Die Seeschlangen und seine Ungeduld haben ihn um die Beute gebracht. Diesmal ist er klüger - und wartet geduldig darauf, dass ihr ihn ans Ziel seiner langen Suche führt.«
Der Homunkulus schwieg. Und mit ihm alle anderen. Eine Mücke setzte sich auf Fliegenbeins dünne Beine. Mit einer müden Handbewegung scheuchte er sie fort.
»Wo ist er jetzt?«, fragte Ben. »Ist Nesselbrand hier in der Nähe?«
Schwefelfell sah sich beunruhigt um. Daran hatte noch keiner von ihnen gedacht, dass der goldene Drache vielleicht schon ganz nah war.
Aber Fliegenbein schüttelte den Kopf. »Nein«, antwortete er. »Nesselbrand ist weit, weit weg. Ich habe ihm zwar von der Antwort des Dschinn berichtet, aber«, ein kleines Lächeln huschte über sein verweintes Gesicht, »ich habe ihn belogen. Zum ersten Mal.« Stolz sah er sich um. »Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich, Fliegenbein, Nesselbrand, den Goldenen, belogen.«
»Ach ja?«, fragte Schwefelfell misstrauisch. »Und das sollen wir dir glauben? Warum solltest du ihn plötzlich belügen, wo du doch so ein fabelhafter Spion gewesen bist und alle an der Nase rumgeführt hast?«
Fliegenbein sah sie böse an. »Nun, wegen dir bestimmt nicht!«, antwortete er schnippisch. »Keine Träne würde ich vergießen, wenn er dich fressen würde!«
»Ph, dich wird er fressen!«, fauchte Schwefelfell wütend zurück. »Falls du ihn wirklich belogen hast.«
»Ich habe ihn belogen!«, rief Fliegenbein mit bebender Stimme. »In die Große Wüste habe ich ihn geschickt, weit, weit fort von hier, weil, weil ...«, er räusperte sich und warf Ben einen verlegenen Blick zu, »weil er den kleinen Menschen auch fressen wollte. Der junge Herr war nett zu mir. Ohne Grund. Ganz freundlich. So ist noch nie jemand zu mir gewesen.« Fliegenbein schniefte, rieb sich die Nase und sah auf seine spitzen Knie. Ganz leise fügte er hinzu: »Deshalb habe ich auch beschlossen, dass er von jetzt an mein Meister sein kann. Wenn er will.« Ängstlich blickte der Homunkulus den Jungen an.
»Sein Meister! Milchling und Raufuß!« Schwefelfell kicherte höhnisch. »Welche Ehre! Und wann wirst du ihn verraten?«
Ben setzte sich wieder auf den Steindrachen und stellte Fliegenbein auf sein Knie.
»Lass den Quatsch mit dem Meister«, sagte er. »Sag auch nicht immer >junger Herr< zu mir. Wir können Freunde sein. Ganz einfach Freunde, in Ordnung?«
Fliegenbein lächelte. Wieder lief ihm eine Träne die Nase hinunter. Aber diesmal war es eine Freudenträne.
»Freunde«, wiederholte er. »Ja, Freunde.«
Barnabas Wiesengrund räusperte sich und beugte sich über die beiden.
»Fliegenbein«, sagte er. »Was hast du damit gerade gemeint? Dass du Nesselbrand in die Wüste geschickt hast? In welche Wüste?«
»In die größte, die ich auf Eurer Karte finden konnte«, antwortete der Homunkulus. »Nur die Wüste kann Nesselbrand eine Zeit lang festhalten, wisst Ihr? Denn ...« Fliegenbein senkte die Stimme, als säße sein alter Meister in dem schwarzen Schatten, den die Steinkuppel warf, »er spricht und sieht durch das Wasser. Nur das Wasser gibt ihm Macht und Beweglichkeit. Also habe ich ihn an den Ort geschickt, wo es am wenigsten davon gibt.«
»Er ist ein Meister des Wassers«, sagte Lung leise.
»Was?« Erstaunt sah ihn Barnabas Wiesengrund an.
»Das hat uns eine Seeschlange gesagt, die wir auf unserer Reise hierher getroffen haben«, erklärte der Drache. »Sie hat gesagt, dass Nesselbrand mehr Macht über das Wasser hat als sie selber. «
»Aber wie?«, fragte Guinever und sah neugierig den Homunkulus an. »Weißt du, was das bedeutet?«
Fliegenbein schüttelte den Kopf. »Ich kenne unglücklicherweise nicht alle Geheimnisse, in die der Alchimist ihn eingeweiht hat. Wenn ich oder einer seiner anderen Diener ins Wasser spuckt oder einen Stein hineinwirft, erscheint Nesselbrands Bild. Er spricht mit uns, als stünde er neben uns, auch wenn er auf der anderen Seite der Erde ist. Wie er das macht, weiß ich nicht.«
»Ach, das hast du damals an der Zisterne gemacht!«, rief Schwefelfell. »Als du mir erzählen wolltest, du hättest dich mit deinem Spiegelbild unterhalten. Du verräterischer kleiner Heuschreck! Du ...«
»Schwefelfell, hör auf!«, unterbrach Lung sie. Er sah den Homunkulus an. Fliegenbein senkte beschämt den Kopf. »Sie hat Recht«, murmelte er. »Damals habe ich mit meinem Meister
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