Drachenreiter
Subaida«, sagte sie. »Wo hast du sie entdeckt?«
Die Drachenforscherin lächelte. »Ich habe die Samen oben im Grabmal des Drachenreiters gefunden. Die Pflanzen, die dort wohl auch einmal gelegen haben, sind längst zu Staub zerfallen, aber die Samen lagen immer noch um den Sarkophag herum. Also habe ich sie gesammelt, ein paar Tage in Wasser gelegt und dann hier ausgesät. Das Ergebnis seht ihr vor euch. Die Blätter, auf die ihr im Grabmal getreten seid, sind Reste meiner letzten Ernte. Ich trockne die Blumen immer noch dort oben um neue Saat zu gewinnen. Ich habe sie übrigens Drachenblumen getauft, wie sonst?« Subaida Ghalib lächelte und strich über eine der fest verschlossenen Knospen. »Sie öffnen sich nur bei Mondlicht. Ihre blauen Blüten duften dann so sehr, dass alle Nachtfalter sie umschwirren wie Lampions. Das Wunderbarste aber ist: Je länger der Mond auf sie herabscheint, desto stärker leuchten sie, bis sich das Mondlicht wie Tautropfen auf ihren Blättern sammelt.«
»Unfassbar!« Barnabas Wiesengrund sah die Drachenblumen fasziniert an. »Hast du das durch Zufall entdeckt oder hat dir jemand von dieser Pflanze erzählt?«
»Weißt du, Barnabas«, antwortete Subaida Ghalib, »was ist Zufall? Ich habe mich an die uralten Geschichten erinnert, in denen die Drachen auch am Tag über den Himmel flogen. Davon erzählen nur die sehr, sehr alten Geschichten. Wieso, habe ich mich gefragt? Wieso konnten die Drachen irgendwann nur noch bei Mondlicht fliegen? Ich habe in den Inschriften oben am Grabmal nach einer Antwort gesucht - und gefunden habe ich dort durch Zufall, wenn du willst, die Samen. Ich glaube, der Drachenreiter war dem Geheimnis auch auf der Spur. Schließlich ist der Drache, der ihn mit seinem Feuer gesund gemacht hat, auch in einer mondlosen Nacht gekommen, nicht wahr?« Sie blickte Lung in die goldenen Augen. »Ich glaube, dass diese Blumen ihm die Kraft gegeben haben. Ich glaube, dass der Tau, den sie auf ihren Blättern sammeln, in sich die Kraft des Mondes trägt.«
»Du glaubst es?« Schwefelfell krabbelte unter dem Zaun hindurch und beschnupperte die stachligen Blätter. »Du hast es aber nie ausprobiert, oder?«
Die Drachenforscherin schüttelte den Kopf. »Wie sollte ich? Lung ist der erste lebende Drache, dem ich je begegnet bin. Und kein anderes Wesen kann sich nur mit Hilfe des Mondes in die Luft erheben.«
»Hast du gehört?« Schwefelfell wandte sich zu Lung um. »Es kann auch sein, dass du wie ein Stein vom Himmel fällst, wenn du dich auf die stacheligen Dinger verlässt.«
Lung schüttelte seine Flügel. »Vielleicht brauchen wir ihre Hilfe nicht, Schwefelfell. Vielleicht sind wir längst am Saum des Himmels, wenn der schwarze Mond kommt. Aber was ist, wenn wieder so etwas passiert wie über dem Meer? Was machen wir, wenn der Mond uns über den Bergen verrät?«
Schwefelfell schüttelte sich. »Ja, ja, schon gut. Du hast Recht.« Sie rupfte einer Blume ein Blatt ab und knabberte misstrauisch die Spitze ab. »Schmeckt nicht übel. Allerdings mehr nach Katzenminze als nach Mondlicht, wenn ihr mich fragt.«
»Muss ich sie fressen?«, fragte Lung die Drachenforscherin.
Subaida Ghalib schüttelte den Kopf. »Nein. Du musst nur den Tau von ihren Blättern lecken. Aber da ich dir die Blumen nicht mitgeben kann, habe ich, seit Barnabas mir von dir berichtet hat, den Mondtau von den Blättern gesammelt. Das will ich auch heute Nacht tun, dann kann ich dir ein gut gefülltes Fläschchen mit auf die Reise geben. Lässt dich der Mond im Stich, dann muss einer deiner Freunde dir ein paar Tropfen auf die Zunge träufeln. Du wirst sicherlich spüren, wie viele nötig sind. Der Tau wird bis zum nächsten Vollmond klar wie Wasser bleiben, dann trübt er sich. Brauchst du also noch etwas für deinen Rückflug, so wirst du mich erneut besuchen müssen.«
Lung nickte. Nachdenklich sah er zum Horizont. »Ich kann es kaum noch erwarten«, sagte er leise. »Ich möchte endlich den Saum des Himmels sehen.«
LAUTER LÜGEN
Fliegenbein mochte das Menschenfest sehr - das Singen, das Lachen und Tanzen, die Kinder, die sich über den Sand jagten, während der Mond eine Straße aus Licht auf das Meer malte.
Der Homunkulus saß mit Ben, Schwefelfell und den Wiesengrunds vor Subaida Ghalibs Hütte. Lung hatte sich an den Strand gelegt, meistens konnten sie nur seinen Kopf sehen, so sehr umlagert war er von den Dorfbewohnern. Immer wieder wollte jemand die Drachenschuppen
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