Drachenreiter
Drachenreiter. Davon gibt es nicht viele auf der Welt. Es gab noch nie viele, selbst zu der Zeit, als die Drachen noch frei herumstreiften und sich nicht verstecken mussten. Ich finde«, er hob den Kopf und sah sich um, »ganz gleich, ob etwas von dem alten Drachenreiter in ihm steckt - er ist hier und vielleicht kann er uns wirklich dabei helfen, Nesselbrand zu besiegen. Eins stimmt auf jeden Fall«, Lung stupste Ben an und blies ihm die Haare aus dem Gesicht, »er ist bleich wie der Mond. Im Augenblick ist er, glaube ich, sogar noch ein bisschen blasser.«
Verlegen lächelte Ben den Drachen an.
»Pfff.« Schwefelfell hob eins der duftenden Blätter auf und hielt es sich unter die Nase. »Ich bin auch ein Drachenreiter. Schon seit ich denken kann. Aber davon redet keiner.«
»Du bist auf jeden Fall nicht blass wie der Mond«, sagte Fliegenbein und musterte ihr pelziges Gesicht. »Du hast mehr die Farbe von Regenwolken, wenn du mich fragst.«
Schwefelfell streckte ihm die Zunge raus. »Dich fragt aber keiner«, fauchte sie.
Barnabas Wiesengrund räusperte sich. Nachdenklich lehnte er sich gegen den alten Sarkophag.
»Meine liebe Subaida«, sagte er. »Ich nehme an, du hast uns diese alte Inschrift gezeigt, weil du der Meinung bist, dass Lung nicht umkehren sollte. Trotz seines unheimlichen Verfolgers. Richtig?«
Die Drachenforscherin nickte. »Richtig. Lung ist nun schon so weit gekommen, so viele haben ihm auf seinem Weg geholfen. Ich kann einfach nicht glauben, dass das alles umsonst war. Und ich finde, es wird Zeit, dass die Drachen Nesselbrand für alle Zeit vertreiben statt sich länger vor ihm zu verstecken. Gab es jemals eine bessere Gelegenheit dazu?« Sie sah sich um. »Wir haben einen Drachen, der nichts mehr zu verlieren hat, ein Koboldmädchen, das Zauberraben vom Himmel vertreibt, einen Menschenjungen, der ein echter Drachenreiter ist und sogar in einer alten Prophezeiung vorkommt, einen Homunkulus, der fast alle Geheimnisse seines Meisters kennt«, sie hob die Arme, dass ihre Armreifen rasselten, »und Menschen, die sich danach sehnen, dass endlich wieder Drachen über den Himmel ziehen. Ja, ich finde, Lung soll seine Reise fortsetzen. Und ich werde ihm verraten, wie er den Mond überlisten kann.«
Ganz still wurde es im Grabmal des Drachenreiters. Gespannt sahen alle den Drachen an. Lung blickte nachdenklich auf den Boden. Schließlich hob er den Kopf, sah sich um - und nickte.
»Ich fliege weiter«, sagte er. »Vielleicht stimmt ja wirklich, was auf dem Stein dort steht. Vielleicht sind wirklich wir gemeint. Aber bevor wir weiterfliegen, wird Fliegenbein versuchen herauszufinden, wo sein Herr sich jetzt befindet.« Er sah den Homunkulus fragend an.
Fliegenbein merkte, wie seine Beine zu zittern begannen, aber er nickte. »Ich werde es versuchen«, wisperte er. »So wahr ich Fliegenbein heiße und aus einem Glas gekrochen bin.«
Als sie zurück ins Dorf kamen, lag es wie ausgestorben da. Die Mittagshitze lastete auf Menschen und Tieren. Die Luft schien zu dick zum Atmen. Nicht einmal die Kinder waren zu sehen. Aber in den Hütten wurde gekocht und gebacken und überall hinter den bunten Vorhängen hörte man aufgeregte Stimmen.
»Alle im Dorf erwarten, dass du uns Glück bringst«, sagte Subaida Ghalib zu Lung auf dem Weg zu ihrer Hütte. »Sie glauben, dass das Glück von den Schuppen eines Drachen rieselt wie Goldstaub, dass es sich auf unseren Dächern niederlassen wird und auf den Netzen unserer Fischer und dass es bleibt, auch wenn du längst wieder mit deinen Freunden fortgeflogen bist.«
»Wir müssen schon heute Nacht weiter«, meinte Lung. »Je eher wir fliegen, desto schwerer wird es für Nesselbrand, uns zu folgen.«
Subaida Ghalib nickte. »Ja, das ist richtig. Aber wenn ich dir helfen soll, den Mond zu überlisten, dann musst du in dieser Nacht noch einmal warten, bis er hoch am Himmel steht. Komm.« Sie führte Lung und die anderen hinter ihre Hütte, wo sie auf dem trockenen Boden ein Feld eingezäunt hatte. Darauf wuchsen Blumen mit stachligen Blättern, deren Knospen fest verschlossen waren.
»Die meisten Pflanzen«, erklärte Subaida Ghalib und stützte sich auf den Zaun, »leben, wie ihr alle wisst, von der Sonne. Bei dieser Blume hier ist es anders. Sie lebt vom Licht des Mondes.«
»Erstaunlich«, murmelte Barnabas Wiesengrund.
Vita lehnte sich über den Zaun um die seltsamen Pflanzen etwas genauer anzusehen. »Ich habe noch nie von so einer Pflanze gehört,
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