Drachenritter 01 - Die Nacht der Drachen
selbst nicht in Ordnung war. Es waren nicht Brian, Smrgol, Aragh und die anderen, die so viel weniger wert waren als er, sondern er war es, der so viel weniger wert war als sie. Wenn ihn nicht der Zufall in diese mächtige Hülle gesteckt hätte, in der er jetzt weilte, wäre er ein Nichts. In seinem eigenen Körper wäre er nicht einmal als das geringste Mitglied in Giles' Bande aufgenommen worden. Konnte er einen hundertpfündigen Langbogen bedienen, geschweige denn, mit einem Pfeil irgend etwas treffen? Konnte er, selbst mit der besten Rüstung der Welt und auf dem besten Streitroß sitzend, sich einbilden, einem Gegner wie Brian oder Sir Hugh auch nur zwei Minuten lang standzuhalten?
Er wußte es jetzt besser. Es war Zucker für das Ego, wie eine Granate in einen Haufen Soldaten hineinzuplatzen, die ein Fünftel seines Gewichts hatten, und sie auseinanderzuschleudern. Es war sehr angenehm, den Leuten, die in einer Gesellschaft mit starrer, sozialer Schichtung lebten, zu erzählen, er sei ein Baron, und sie vermuten zu lassen, er sei vielleicht sogar ein Prinz. Aber was war geschehen, als ihn dann wirklich eine echte Lanze durchbohrt hatte? Ganz plötzlich hatte ihm das Spiel keinen Spaß mehr gemacht. Er war bereit gewesen, seine Murmeln einzusammeln und wieder nach Hause zu gehen.
Jetzt, da er allein war und ihm die Sandmerker auf den Leib rückten, und er sich endlich selbst erkannte, sah er, daß die Welt, in der Angie und er gelandet waren, keine verweichlichte Welt war. Es war eine harte Welt; und alle, die er hier kennengelernt hatte – Smrgol, Brian, Aragh, Giles, Dafydd, Danielle, sogar Secoh und Schankwirt Dick –, waren von Kämpfen gezeichnete Überlebende. Sie hatten überlebt, weil sie den Mut hatten, den man zum Überleben brauchte. Diesen Mut hatte er ihnen verübelt, als er in die Lanzenspitze von Hugh de Bois geflogen war und erkannt hatte, daß er genau wie jeder andere getötet werden konnte. Diese Entdeckung hatte ihn erkennen lassen, wie wenig ihm diese Art von Mut – in seiner eigenen Welt – bisher abverlangt worden war.
Jetzt war es nicht mehr von Bedeutung, ob er mutig sein konnte oder nicht, weil er sowieso sterben würde. Die Sandmerker waren gleich hinter den Bäumen, die ihn umringten; und die Panik, die ihr Geschnatter hervorrief, begann an seinem Verstand zu nagen. Diesmal konnten sie seiner sicher sein. Er hatte nicht einmal ein Lagerfeuer, um sie in einigem Abstand zu halten. Listigerweise waren sie wieder einmal in einer regnerischen, wolkenbedeckten Nacht gekommen, in der ein Drache sich nicht in die Luft erheben konnte aus Angst, blind in einen Baum oder einen Felsen hineinzufliegen; und in der er, wie jedes gewöhnliche, erdgebundene Tier, die Flucht nur zu Fuß versuchen konnte. Der einzige Unterschied zum letzten Mal war, daß er schließlich mit sich ins reine gekommen war – ein einziger, kleiner Triumph, der allein ihn von einem einfachen Drachenopfer unterschied.
Der Atem stockte ihm in den Lungen. Einen Augenblick lang waren sogar die Stimmen der Sandmerker vergessen. Er hatte wenigstens eine letzte Wahl. Er würde in jedem Fall sterben, aber er konnte sich immer noch aussuchen, wie. Was hatte er doch zu Carolinus gesagt, damals, als sie sich kennenlernten? »…Aber ich bin kein Drache!«
Und er war auch keiner. Gorbash mochte in dieser Lage keine Wahl haben, aber er war Jim Eckert, und er konnte wählen. Er konnte unterliegen, er konnte sterben, aber immer noch in dem Bemühen, den Verhaßten Turm zu erreichen und Angie zu retten – allein, wenn nötig –, aber nicht als hilfloses Mahl für die Sandmerker.
Es mochte sein Tod sein, wenn er zu fliegen versuchte, aber er zog diesen Tod dem Hierbleiben vor. Er öffnete das Maul und brüllte die Sandmerker an. Er duckte sich und sprang nach oben, hinein in Regen und Dunkelheit; und das Schnattern wurde schnell schwächer, verstummte und verlor sich, weit unten, weit hinter ihm.
Mit den Flügeln schlagend bemühte er sich, an Höhe zu gewinnen. Es war ein aussichtsloses Unterfangen, die Wolkendecke für niedrig genug zu halten, um darüber hinaus zu fliegen. Und selbst wenn es möglich war, wo sollte er, über diesen Wolken, im Regen, in einer solchen Nacht eine Thermik finden, auf der er segeln konnte? Ein kräftiger Wind könnte ihn retten – aber bei solchem Wetter gab es keine starken, gleichmäßigen Winde über einer Schicht von Regenwolken. Wenn er nicht segeln konnte, würden seine Flügel früher
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