Drachenritter 02 - Der Drachenritter
erhitzen – tatsächlich kühlte er in Menschengestalt recht gut ab –, sondern weil ihn ein gewisser Stolz daran hinderte.
Wäre etwa Brian losgerannt, um die letzten paar Meter bis zum Wasser zurückzulegen, das er in wenigen Augenblicken sowieso erreicht haben würde? Nein, dachte Jim, eine solche menschliche Schwäche hätte sein Freund verachtet. Und in seiner Eigenschaft als angehender Kriegsherr sollte Jim eigentlich nicht weniger Selbstbeherrschung zeigen. Schließlich stand er nicht im Begriff zu verdursten. Er hatte lediglich eine trockene Kehle, weil er zuviel Wein getrunken hatte.
Er schaffte es, gemächlich bis zu einer Stelle am Seeufer zu gehen, wo er sich auf den Bauch legen und trinken konnte. Das Wasser war genauso blau und klar, wie er es sich vorgestellt hatte. Und die ersten paar Schluck waren so köstlich, daß er nun doch noch die Beherrschung verlor und das Wasser gierig hinunterstürzte.
Als er schließlich zum Atemholen innehielt, hatte er endlich die Muße, sein Spiegelbild zu betrachten, das, nachdem sich die Wasseroberfläche wieder beruhigt hatte, unmittelbar darunter zu ihm hochzublicken schien. Er betrachtete es erst mit Verwunderung – dann auf einmal mit Bestürzung.
Das Gesicht, das zu ihm hochschaute, war nicht seines. Es war das Gesicht eines wunderschönen Mädchens mit langem, blondem Haar. Sie lächelte ihn an – oder vielmehr lächelte ihr Gesicht ihn an, das sich nur Zentimeter unter der Wasseroberfläche zu befinden schien. Das Bild war viel zu scharf, als daß es sich um eine Halluzination hätte handeln können.
»Einen Moment mal!« Jim rappelte sich auf alle viere hoch, ohne den Blick von der Wasseroberfläche zu wenden.
Als das Gesicht aus dem Wasser hervorkam, zeigte sich, daß auch ein Kopf dazugehörte, und dann erschien der Rest des schönen Mädchens. Als sie ihn anlächelte, schwirrte ihm der Kopf.
»Da bist du ja, mein Liebster«, wisperte sie. »Endlich bist du da. Komm zu mir.«
Ihre Stimme war ein zärtliches Flüstern. Sie streckte die Arme aus, legte ihre kleine Hand um seine große, und im nächsten Moment fand Jim sich im See wieder – ohne daß er hätte sagen können, wie es geschehen war.
Es blieb ihm nicht die Zeit, sich darüber klarzuwerden, daß das Ufer nicht annähernd so flach war, wie Maigra gemeint hatte. Sie fielen wie Steine in eine ungewisse Tiefe; so tief ging es hinab, daß er nicht einmal bis zum Grund sehen konnte. Wenn ein Drache, der glaubte, er könne nicht schwimmen, ins Wasser gefallen oder hineingezogen worden wäre, so wäre er auf der Stelle untergegangen und ertrunken.
Aber er hatte keine Zeit, sich über Maigras perfiden Rat und das womöglich unglückliche Ende, das ihn erwartet hätte, wenn er wegen der Hitze nicht Menschengestalt angenommen hätte, den Kopf zu zerbrechen. Dafür war er zu sehr in Anspruch genommen von der Tatsache, daß er immer tiefer in den See hinabgezogen wurde.
Als Mensch war er ein passabler Schwimmer. Er hatte bereits in fünf Metern Tiefe geschnorchelt. Im Moment aber hatte er keine Taucherbrille und keinen Schnorchel, und aus irgendeinem Grund sah er sich vollkommen außerstande, sich dagegen zu wehren, daß ihn das Mädchen mit sich in die Tiefe zog. Dabei hatte er das Gefühl, daß es ihm nichts genützt hätte, selbst wenn er sich gewehrt hätte, und er war wie gelähmt.
Er würde ertrinken. Er konnte nichts dagegen tun.
Dann jedoch wurde ihm klar, daß er mittlerweile eigentlich die Symptome eines Ertrinkenden hätte zeigen müssen. Bis jetzt hatte er gemeint, die Luft anzuhalten, doch dem war nicht so. Er atmete unter Wasser ganz normal weiter.
Das ergab keinen Sinn. Entweder war das Wasser durch eine Luftblase ersetzt worden, die ihn einschloß, und das konnte nicht sein. Oder aber er atmete das Wasser ein, als wäre es Luft, was noch unwahrscheinlicher war.
»Es ist wundervoll, daß du endlich gekommen bist«, sagte das blondhaarige Mädchen, ohne sich nach ihm umzuschauen. »Mit dir hätte ich nie im Leben gerechnet. Eigentlich hatte ich ein Auge auf einen garstigen Drachen geworfen, der immer näher kam. Und dann ist er auf einmal verschwunden.«
Ihr Tonfall wurde nachdenklich.
»Ich begreife das alles nicht«, murmelte sie vor sich hin. »Ich habe noch nie erlebt, daß sich ein Drache so verhalten hätte. Und er näherte sich geradewegs dem See. Ich hätte ihn so leicht ertränken können!«
»Weshalb … weshalb solltest du denn einen Drachen ertränken wollen?«
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