Drachenritter 02 - Der Drachenritter
nicht mehr darin stehen und den Kopf in die Luft strecken konnten.
Gleichwohl beschloß er, Maigras Rat zu beherzigen. Insgeheim leistete er Abbitte, weil er nicht geglaubt hatte, daß sie und Sorpil wirklich daran interessiert seien, ihm zu helfen. Dieser Schluß hatte nahegelegen, denn so waren Drachen eben; wenn ihm irgend etwas zustieß, durften sie den Paß behalten. Andererseits hatte auch Maigra etliche Krüge Wein getrunken, und vielleicht hatte der Alkohol sie ebenfalls milder gestimmt.
Zumindest früher, als sie noch jünger gewesen war, mußte sie auch eine anziehende und sanftere Seite besessen haben, überlegte er. Ansonsten hätte Sorpil, der in jungen Jahren zweifellos ein stattlicher Drache gewesen war, sie bestimmt nicht geheiratet.
»Maigra, ich danke Euch«, sagte er, und ihm fiel auf, wie schläfrig er sich anhörte. Als er das Châteaux betreten hatte, war es noch nicht Mittag gewesen, doch wie es bei Drachen Sitte war, wenn sie ernstlich zulangten, hatte sich das Mahl hingezogen. Am Mondschein hätte er eigentlich erkennen sollen, daß sie bereits seit acht bis neun Stunden tafelten. Dennoch hatte er den Eindruck, die Zeit sei wie im Flug vergangen.
Jedenfalls war er unbestreitbar müde.
»Habt Ihr einen Platz für mich«, fragte er, »oder soll ich mich einfach hier zusammenrollen?«
Er hätte nichts dagegen gehabt, an Ort und Stelle einzuschlafen. Andererseits entsprach es dem Dracheninstinkt, sich zum Schlafen an einen abgeschiedenen Ort zurückzuziehen. Es war Sorpils und Maigras Pflicht als Gastgeber, ihm einen solchen Ort anzubieten – vielleicht eines der kleineren Zimmer der Burg, ganz gleich, in welchem Zustand sie sich momentan befinden mochten.
»Ich bringe Euch hin!« sagte Maigra, die sich erstaunlich munter erhob.
Sorpil blieb sitzen und grollte lediglich etwas, das sich wie »Gute Nacht« anhörte, vermischt mit einem drachenmäßigen Rülpser. Jim folgte Maigra. Sie geleitete ihn treppauf, treppab durch eine Abfolge von Gängen, die ausnahmslos alle in tiefer Dunkelheit lagen. Jim tappte ihr hinterdrein, sich auf Nase und Ohren verlassend, ohne sich Sorgen zu machen, einen Fehltritt zu tun oder den Anschluß zu verlieren.
Schließlich führte sie ihn in das Schlafzimmer eines der früheren Burgbewohner, wie er es erwartet hatte. Dort ließ sie ihn allein, und er rollte sich zwischen den Überresten des spärlichen Mobiliars zusammen. Sein letzter Gedanke vor dem Einschlafen war, daß die französischen Burgen mehr Räume hatten als die englischen.
Nach Drachenart war sein Schlaf traumlos und tief. Als er erwachte, war es heller Tag. Der Raum hatte bloß einen Fensterschlitz, aber die Sonne schien geradewegs hindurch, so daß es hell im Raum war. Der Unterschied zur Finsternis der Nacht war ein wenig verwirrend für Jim, der das Gefühl hatte, zwischen dem Moment des Einschlafens und dem Aufwachen habe nur ein Augenblick gelegen.
Als er gähnte, schnellte seine lange, rote Zunge aus dem großen Maul hervor. Dann entwirrte er seine Gliedmaßen, streckte sich – mit Ausnahme der Flügel, denn dafür reichte der Platz nicht aus – und ließ sich von Nase und Erinnerung denselben Weg zurückleiten, den er am Abend zuvor beschritten hatte.
Als er in den Raum kam, wo er mit Maigra und Sorpil gespeist und getrunken hatte, war niemand da. Von den Schafen waren nur noch ein paar geknackte Knochen übrig, aus denen das Mark herausgeleckt war. Das Fäßchen, das Sorpil am Abend geöffnet hatte, war zu vier Fünfteln leer.
Jim schenkte sich einen Krug Wein ein und stürzte ihn in einem Zug hinunter; die Wirkung war wundervoll belebend. Um des Prinzips willen schenkte er sich gleich noch einmal nach.
Am besten brach er gleich auf. Von seinen beiden Gastgebern war nichts zu sehen. Maigra hatte ihm unter Alkoholeinfluß offenbar den besten Rat gegeben, den er von ihnen zu erwarten hatte.
Im Begriff, sich durch die Flügeltür ins Freie zu begeben, wandte er sich ein letztes Mal um und rief seinen Gastgebern, die sich nicht die Mühe gemacht hatten, ihn zu verabschieden, ein Lebewohl zu.
»Hallo, ich bin's, James!« brüllte Jim. »Ich breche jetzt auf. Danke für Eure Gastfreundschaft, ich komme bald wieder, um den Paß abzuholen. Lebt wohl!«
Seine Stimme hallte aus immer weiter entfernten Winkeln der Burg wider. Niemand antwortete ihm.
Er drehte sich um und trat ins Freie.
Es war wieder ein heißer, wolkenloser Tag. Jim marschierte zu Fuß los, wie Maigra es ihm geraten
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