Drachenritter 02 - Der Drachenritter
überhaupt nach Frankreich wollt!«
»Eigentlich…« Normalerweise hätte Jim sich jetzt geräuspert, doch das hatten Drachen offenbar nicht nötig. Ziemlich lahm fuhr er fort: »Ich will dort einen Prinzen befreien. Einen englischen Prinzen – einen Georg.«
»Das geht uns nichts an!« brüllte jemand dazwischen, und abermals mußte Gorbash für Ruhe sorgen, bevor er die nächste Frage loswerden konnte.
»James«, sagte er, »ist es wirklich Euer Ernst, daß jeder von uns Euch sein wertvollstes Schmuckstück geben soll, bloß damit Ihr einen Prinzen-Georg befreien könnt?«
»Das stimmt!« schrie Secoh. »Warum werdet ihr nicht endlich einmal schlau? Warum begreift ihr nicht endlich? Was die George uns Drachen alles antun können! Smrgol hat das gewußt! Unmittelbar vor seinem letzten Kampf hat er von einem Georg gesprochen, der ganz in unserer Nähe lebt, von einem Georg namens Sir Brian, der seinerzeit eine Menge von uns Sumpfdrachen erlegt hat. Smrgol war der Ansicht, George und Drachen sollten zusammenarbeiten.«
»Aber Jim mein wertvollstes Stück geben…«, grummelte Gorbash, auf einmal von Entsetzen gepackt.
»Du würdest es ihm nicht geben!« sagte Secoh. »Ihr alle würdet ihm eure Juwelen bloß leihen. Damit er sie zum Beweis dafür, daß er den französischen Drachen keinen Schaden zuzufügen beabsichtigt, bei ihnen hinterlegen kann.«
Mit schwungvoller Gebärde holte er eine Perle von der Größe eines Rotkehlchens unter seinen Schuppen hervor und reichte sie dem überraschten Jim.
»Hier, James!« verkündete er huldvoll. »Bloß um den anderen ein Beispiel zu geben. Das ist mein wertvollstes Schmuckstück!«
Jim betrachtete die Perle staunend. Er hatte immer gemeint, Secoh sei so arm, daß er nicht einmal wüßte, wovon er seine nächste Mahlzeit bestreiten solle.
Man vernahm ein allgemeines Aufseufzen und Gemurmel. Jim bemerkte, daß Secohs Geste alle stark beeindruckt hatte, allerdings hatte sie eher Entsetzen als Bewunderung ausgelöst.
»Verrückte Sumpfdrachen!« murmelte jemand.
Diese Bemerkung war das Signal für eine weitere ausgewachsene, stimmgewaltige Auseinandersetzung unter den Drachen in der Großen Höhle. Während er ihnen zuhörte, sank Jim der Mut. Es war nur allzu offensichtlich, daß die meisten, wenn nicht gar alle dagegen waren, ihm ihre wertvollsten Schmuckstücke zu überlassen, und sei es auch nur vorübergehend. Bis zu einem gewissen Grad konnte Jim ihnen das nachfühlen, zumal jetzt, da er Drachengestalt angenommen hatte. Ein Drachenschatz wurde von Generation zu Generation weitervererbt und wuchs dabei immer weiter an. Die wertvollsten Schmuckstücke im Besitz eines Drachen mochten schon vor mehreren hundert Jahren erworben worden sein. Daher handelte es sich nicht nur um Wertsachen, sondern auch um Familienerbstücke.
Einem Drachen mußte es nahezu unvorstellbar erscheinen, diese Erbstücke einem Risiko auszusetzen. Dabei mochten sie Jim durchaus für vertrauenswürdig erachten und weiterhin glauben, daß er ihre Juwelen ebensogut hüten werde wie sie selbst. Gleichwohl konnte in dieser Welt, die sie sich mit den Georgen, den Dunklen Mächten und den übrigen Bewohnern teilten – in dieser mittelalterlichen Welt des vierzehnten Jahrhunderts –, das Unerwartete jederzeit eintreten.
Und dieses Unerwartete versetzte sie nun in Schrecken. Trotz Jims Vertrauenswürdigkeit und all seiner Fähigkeiten mußten sie gleichwohl der Tatsache Rechnung tragen, daß irgendwie, irgendwo, irgend etwas schiefgehen könnte und daß sie ihre kostbaren Geschmeide womöglich niemals wiedersehen würden. Jim war sich bewußt, daß er in mancherlei Beziehung zuviel von ihnen verlangte.
Andererseits wußten sie ebenfalls, daß man in dieser unsicheren Welt bisweilen auch große Risiken auf sich nehmen mußte. Dies war eine der grundlegenden Tatsachen des Lebens. Wenn er ihnen bloß hätte klarmachen können, daß die Überlassung des Passes eines dieser notwendigen und unvermeidbaren Risiken darstellte…
Seine Gedankengänge gerieten ins Stocken, als er bemerkte, daß die Auseinandersetzung um ihn herum eine ziemlich häßliche Wendung genommen hatte. Einige Drachen von eindeutig ablehnender Haltung legten ihre Argumente dar, die nicht so sehr gegen den Zweck der Reise gerichtet waren, für die Jim den Paß benötigte, sondern vielmehr gegen Jim selbst, gegen seinen Kampf gegen die Dunklen Mächte und die Tatsache, daß er die Drachen mit hineingezogen hatte. Außerdem waren
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