Drachenritter 02 - Der Drachenritter
seiner Worte bewußt. Die Drohung war ihm einfach so entschlüpft, ohne daß er sich vorher Gedanken gemacht hätte. Er hatte nicht die geringste Ahnung, wie er die Drachen hätte in Wachkäfer verwandeln sollen. Der entsprechende Zauberspruch war zweifellos in dem miniaturisierten Band der Enzyklopädie der Nekromantie enthalten, den er in seinem Inneren aufbewahrte. Er hatte bloß noch nie danach gesucht, und daher kannte er ihn auch nicht. Falls die Drachen es darauf angelegt hatten, ihn soweit zu treiben, daß er seinen Worten Taten folgen lassen mußte, dann würde er sich fürchterlich blamieren.
Kurzzeitig wallte Ärger in ihm auf. Wie hatte er nur so dumm sein können, sich eine solche Blöße zu geben? Im Grunde hatte er seine Chancen damit verspielt.
Als er jedoch die immer noch reglosen Drachen und die fast hundert Augenpaare ansah, die ihn unverwandt fixierten, erschien ihm die Situation in einem neuen Licht. Vielleicht war seine Lage doch nicht so hoffnungslos.
Bloß weil er wußte, daß er seine Drohung nicht wahr machen und sie alle in Käfer verwandelt konnte, hieß das noch lange nicht, daß sie es ebenfalls wußten. Sie hatten keinerlei Anlaß zu glauben, daß er dazu nicht imstande sei, während sie allen Grund zu der Annahme hatten, daß dem so wäre. Er hatte sich als Magier, als angehender Magier, zu erkennen gegeben. Vor ihren Augen hatte er sich in einen Menschen und dann wieder in einen Drachen verwandelt. Wenn er dazu imstande war, bedeutete das nicht, daß ihm alles möglich war?
In Anbetracht der ihnen verfügbaren Informationen mußte es vielmehr so aussehen, als sei es im Vergleich zu dem bereits vollbrachten Kunststück für ihn ein Kinderspiel, sie alle in Käfer zu verwandeln.
Je länger er sie ansah, desto überzeugter war er, daß es sich in der Tat so verhielt. Diese Überzeugung mündete in ein tieferes Verständnis des Drachenwesens, wie es ihm bislang nicht zugänglich gewesen war. Auf einmal begriff er, daß seine Drohung weitaus machtvoller gewesen war, als er eigentlich beabsichtigt hatte.
Denn jetzt, im Körper eines Drachen, vermochte er Drachengefühle auf einmal zu würdigen. Drachen waren eine Art für sich; weder Vogel noch Tier und auch kein fliegendes Säugetier wie etwa die Fledermaus. Sie waren ein mächtiges Volk, mit besonderen Eigenschaften und ihrem eigenen Stolz.
Es lag nicht bloß an ihrer Größe. Sie waren größer als die meisten anderen Wesen, aber die größten waren sie keineswegs. Seeschlangen zum Beispiel waren erheblich größer.
So deutlich, als wäre es erst gestern gewesen, vernahm er im Geiste wieder die Worte, die Smrgol kurz vor dem Kampf mit dem Wurm, den Harpyien und dem Oger vor fast einem Jahr an ihn gerichtet hatte.
»Vergiß nicht«, hatte Smrgol in beinahe zärtlichem Ton gesagt, »daß du der Nachfahre von Ortosh, Aqtval und Gleingul bist, der die Seeschlange auf der grauen Sandbank erlegt hat, und daß du daher tapfer bist…«
Abgesehen von ihrer Habgier, ihrer Faulheit, ihrer Selbstsucht und vielen anderen wenig einnehmenden Eigenschaften besaßen Drachen ihren eigenen Stolz. Seeschlangen waren größer, aber Gleingul hatte eine erlegt. Oger waren nicht nur größer, sondern auch gefährlicher, trotzdem hatte Smrgol in seiner Jugend einen getötet; und Jim hatte in Gorbash Körper am Verhaßten Turm einen Oger besiegt. Einem Drachen bedeutete es eine Menge, ein Drache zu sein.
Ein Käfer zu werden, das hieße für diese geflügelten Ungeheuer, die ihm gegenübersaßen, alles zu verlieren, was einen Drachen ausmachte; ein größerer Verlust als der ihrer Schätze, die ihnen soviel bedeuteten. Einen Moment lang empfand er Schuldgefühle, weil er ihnen gedroht hatte. Dann wurde ihm bewußt, wie wenig angebracht das war. Er brauchte den Paß. Er würde als Drache auftreten müssen, und das war der einzige Weg, einen Paß zu bekommen.
»Nun?« fragte er. Damit war der Bann gebrochen, der sie alle gefangengehalten hatte.
Die Drachen wandten sich wortlos ab, schlurften langsam die Ränge hoch und verschwanden in den zahlreichen Ausgängen der Großen Höhle. Keiner sprach ein Wort. Jims einsilbige Frage blieb vielmehr solange im Raum stehen, bis sie alle wieder zurückgekehrt waren und all ihre Lieblingsjuwelen eingesammelt und vor Jim in einen Sack gesteckt hatten. Die Geschmeide waren nicht groß und der Sack zu Jims Überraschung kaum größer als ein Sack mit einem Zentner Kartoffeln. Als der letzte Klippendrache das letzte
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