Drachenritter 05 - Der Drache, der Graf und der Troll
mir doch, wann Ihr das erste Mal entdeckt habt, daß Ihr ein Drache seid?«
Jim suchte hastig nach Worten, die die eigentlichen Geschehnisse in etwas Verständlicheres und Harmloseres übersetzen konnten.
»Es ist einfach eines Tages passiert«, sagte er, »und zwar, als ich entdeckte, daß meine Frau verschwunden war.«
Sie lächelte ihm ermutigend zu. »Und dann, Sir James?«
»Nun, das war in meiner Baronie von Riveroak«, fuhr Jim fort, »weit, weit fort von England. Ich vermutete, daß ein böser Zauberer am Werke gewesen war -und genau das war auch der Fall. Ich machte mich auf die Suche nach ihm und zwang ihn, mich an den Ort zu senden, wohin man Angie gebracht hatte. Als ich hierherkam, fand ich heraus, daß ein Drache sie gefangengenommen hatte und daß ich selbst ebenfalls ein Drache war.«
»Ach wirklich? Wie faszinierend!« sagte die Dame. »Und was ist dann passiert?«
Jim fügte sich resigniert in die Notwendigkeit eines ausgewachsenen Berichts der Geschichte vom Verhaßten Turm.
Es dauerte eine ganze Zeit, bis er wieder die Gelegenheit bekam, mit Angie zu reden. Als es endlich soweit war, fand er sie tief in ein Gespräch mit dem Bischof verstrickt, der zu ihrer Linken saß. Jim war sich nie so recht schlüssig, wie die Platzverteilung zustande kam, aber dies war eine Veränderung. Der brave Kirchenfürst saß nun zwischen Angie und dem Grafen, und in diesem Augenblick übernahm er die Führung des Gesprächs, während Angie mit allen Zeichen tiefer Aufmerksamkeit lauschte.
Jim hätte es vielleicht gewagt, Angie zu unterbrechen, aber er konnte kaum dem Bischof ins Wort fallen, ohne sich großer Unhöflichkeit schuldig zu machen. Er tat so, als sei er ganz in sein Essen vertieft, und glücklicherweise war die Dame, die ihn zuvor ins Verhör genommen hatte, nun selbst an ihrer Mahlzeit interessiert - dies war offensichtlich keine Frau, die wie ein Spatz in ihrem Essen herumzustochern pflegte. Und tatsächlich zeigte sie, nachdem sie sich ihrem Essen zugewandt hatte, ebenfalls großes Interesse an ihrem Wein, und nachdem sie beidem reichlich zugesprochen hatte, döste sie ein und hatte für diesen Tag keine weiteren Fragen mehr an Jim.
Das Ergebnis war, daß Jim, den die Redseligkeit des Bischofs von Angie fernhielt und der vor dem Mahl geradezu belagert worden war, jetzt nichts anderes zu tun hatte, als zu Essen und zu Trinken - beides eine gefährliche Ablenkung für jemanden, der sich weder vollstopfen noch betrinken wollte.
Erst geschlagene drei Stunden später, nachdem Angie und die meisten anderen Damen sich zurückgezogen hatten - eine ganze Reihe davon in Angies Gesellschaft, als trügen sie sich mit der Absicht, eine kleine Geheimversammlung abzuhalten -, nahm das Mahl einen ganz und gar anderen Verlauf. Es verwandelte sich in etwas, das Jim zu seinem Glück bisher im vierzehnten Jahrhundert noch nicht kennengelernt hatte.
Er war es gewohnt, nach der mittelalterlichen Mittagsmahlzeit noch ein wenig herumzusitzen und zu reden. Diese Mahlzeit wurde beim Adel für gewöhnlich am frühen Nachmittag eingenommen und konnte sich bis in den frühen Abend hinziehen, oder zumindest bis zu dem Zeitpunkt, da das Entzünden von Kerzen oder Fackeln notwendig wurde. Aber all seinen früheren Erfahrungen nach waren das Geselligkeiten kleiner Gruppen gewesen, und ein Mann vom Format des unerbittlichen Herrac de Mer, des Vaters von Giles, hatte dabei mit eiserner Hand für Sitte und Anstand gesorgt.
Aber während der Weihnachtsgesellschaft des Grafen verhielt es sich damit gänzlich anders.
Jim war kein Unschuldslamm. Er wußte, daß Geselligkeiten wie diese sich leicht zu langen Trinkgelagen auswuchsen - unter Männern, die nicht unbedingt auf bestem Fuß miteinander standen. Tatsächlich war er in seiner eigenen Welt in gewissen Kneipen in ähnliche Situationen geraten oder auch auf Teenagerpartys, wo reichlich Alkohol geflossen war. Solche Zusammenkünfte endeten fast zwangsläufig in Trunkenheit, Lärm und gelegentlich auch in handfesten Raufereien. Er war darauf gefaßt gewesen, daß einige Abende während dieser Weihnachtsgesellschaft des Grafen ungefähr so ausfallen würden.
Aber er hatte die Ritter gewaltig unterschätzt.
Ohne viel darüber nachzudenken, hatte er erwartet, daß das eherne Muster ihres Verhaltenskodexes die Edelmänner zu allen Zeiten prägen würde, selbst wenn sie weit entfernt von zu Hause waren und sich amüsierten. Es erwies sich, daß er in dieser Hinsicht unrecht
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