Drachenritter 05 - Der Drache, der Graf und der Troll
einigen Stunden gegessen hättet. Angie wird auf jeden Fall zur hohen Tafel zurückkehren müssen. Ich weiß, es ist viel verlangt. Aber wenn Ihr Euch dazu bereit fändet...«
»James«, sagte Brian fest, »ich werde es tun. Wenn es Euch hilft, könnt Ihr auf jeden Beistand zählen, den ich Euch leisten kann.«
Nicht zum ersten Mal empfand Jim sehr gemischte Gefühle - Freude über Brians Hilfsbereitschaft einerseits und Schuld andererseits. Das Schuldgefühl rührte daher, daß er im zwanzigsten Jahrhundert die Art von Freundestreue, die Brian ihm wieder und wieder erwies, weder erfahren noch selbst entgegengebracht hatte - und er bezweifelte, daß er sich in dieser Welt Brian gegenüber schon einmal ähnlich treu gezeigt hatte.
Er versuchte sich mit dem Gedanken zu beruhigen, daß er bisher nicht viel Gelegenheit gehabt hatte, sich Brian gegenüber ebenso verläßlich zu erweisen - vielleicht einmal abgesehen von dem einen Mal, als er Brian geholfen hatte, seine Burg Smythe vor einer Rotte von Piraten zu retten, die auf einem Plünderzug landeinwärts geglaubt hatten, die halb verfallene Burg mühelos einnehmen zu können.
Aber das war nur ein einziges Mal gewesen und nicht mehr als die Art Hilfeleistung, die jeder Ritter ganz selbstverständlich von einem freundschaftlich gesinnten Nachbarn erwarten konnte. Eines Tages, sagte er sich, mußte er eine Gelegenheit finden, die Treueschuld zu begleichen, die die Freundesdienste des anderen aufhäuften.
»Gut«, sagte Jim. »Ich bin Euch sehr dankbar, Brian. Wenn Ihr das für mich tun würdet...«
Weiter kam er nicht. Die Tür, die vom Korridor in Brians Zimmer führte, wurde ohne die Andeutung eines Klopfens oder Kratzens geöffnet, und vor ihnen stand nicht nur Angie, sondern auch Geronde.
Jetzt, da die beiden angekleidet waren, konnten sie es kaum mehr erwarten, augenblicklich hinunterzugehen. Daher brachen sie alle vier auf, und Jim erläuterte unterwegs und mit Brians Unterstützung seinen Plan. Angie sah anfangs ein wenig zweifelnd drein, und Geronde schien geneigt zu sein, nach Haken und möglichen verborgenen Gefahren in dem Plan zu forschen, aber schließlich gebot Brians Haltung all ihren Bemühungen in dieser Hinsicht Einhalt, eine Haltung, die sich wahrscheinlich am besten mit den Worten: Es ist meine Pflicht und ich werde es tun! ausdrücken läßt.
So kam es, daß sie sich, nachdem sie den Rittersaal betreten hatten, in grundsätzlicher Übereinstimmung trennten. Brian und Geronde wurden zu einem der niederen Tische geführt, und Jim und Angie geleiteten die Diener wie am Vortag zur hohen Tafel.
An diesem höchsten Weihnachtsfeiertag saßen sie, sehr zu Jims Freude, nebeneinander. Wie am vergangenen Tag saß Agatha Falon neben dem Grafen, beherrschte ganz das Gespräch der beiden und schmeichelte diesem langsam in die Jahre kommenden Edelmann ungemein.
Der Graf schien jedes ihrer Worte aufzusaugen. Er stand bereits ein wenig unter dem Einfluß des Weins -wahrscheinlich, um sich von seinem beim Sturz verrenkten Knöchel abzulenken. Hinter seinem Stuhl lehnte ein Gehstock mit rundem Griff.
Dieselbe gemütlich stämmige, betagte Dame, die zuvor zu Jims Linken gesessen hatte, war auch heute wieder da. Sie konnte es gar nicht erwarten, Jim und Angie auf die bevorstehenden Höhepunkte dieser außerordentlich bedeutsamen Mahlzeit hinzuweisen.
Es würde eine szenische Aufführung der Seeschlacht geben, die bei Sluys mit dem Sieg über die französische Marine geendet hatte. Anscheinend hatte der Graf seinerzeit dabei eine heldenhafte Rolle gespielt. Diese Aufführung sollte am Ende der Mahlzeit stattfinden.
In der Zwischenzeit fanden sich Jongleure zwischen den beiden langen Tischen ein, die munter vor sich hin jonglierten. Während der nächsten Gänge würden Akrobaten an ihre Stelle treten. Indessen sägten, hämmerten und zupften die Musiker hoch oben auf ihrer Empore drauflos, obwohl die Speisenden ihnen nicht die geringste Beachtung zu schenken schienen.
Auch die irische Harfe war wieder da, aber ihre melodischen, traurigen Klänge, die Jim so sehr mochte, gingen im Lärm der anderen Instrumente unter. Jim seufzte bei sich - er hatte jede Menge Zeit zum Seufzen, denn Angie und die ältliche Dame unterhielten sich jetzt über ihn hinweg, und er lehnte sich auf seinem Platz zurück, damit sie einander beim Sprechen ansehen konnten. Er war, um genau zu sein, erleichtert, sich nicht an dem Gespräch beteiligen zu müssen.
Die beiden Frauen
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