Drachenritter 06 - Der Drache und der Dschinn
und sprach ihn an.
»Ich weiß nicht, wo ich bin, und ich kann Euch nicht weglaufen«, sagte er. »Könnt Ihr mir nicht die Fesseln abnehmen oder sie zumindest ein wenig lockern? Sie sind so fest angezogen, daß mir schon die Hände eingeschlafen sind, und wenn ich kein Wasser schöpfen kann, dann kann ich auch nicht trinken.«
Statt zu antworten, schlug ihm der Mann mit dem Handrücken so fest ins Gesicht, daß Jim beinahe das Gleichgewicht verloren hätte.
Sogleich brach Unruhe aus, und ein anderer Mann drängte sich vor - oder vielmehr machte man ihm Platz. Er näherte sich Jim und dem Mann, der ihn geschlagen hatte.
»Was gibt es?« fragte er.
»Er wollte weglaufen«, antwortete Jims Bewacher.
»Er lügt!« krächzte jemand.
Brian drängte sich durch die Menge, die sich dicht um Jim und den Anführer geschlossen hatte. »Er hat lediglich gebeten, man möge ihm die Fesseln lockern. Das ist nur recht und billig, und bei mir solltet Ihr das ebenfalls tun. Wir sind unbewaffnet und können nirgends hin.«
»Er hat nicht versucht wegzulaufen?« fragte der Anführer.
»Nein, hat er nicht, und mögen Eure schwarzen Seelen in der Hölle schmoren!« erwiderte Brian. »Ich bin ein englischer Ritter, und auf mein Wort ist Verlaß.«
Brian wirkte arg mitgenommen. Er hatte zwei blaue Augen, seine Nase war ein wenig schief, und im Gesicht hatte er ein paar Schrammen abbekommen. Außerdem humpelte er.
»Er ist es, der lügt...«, setzte der Mann an, der Jim geschlagen hatte, als der Anführer ihm auf die gleiche Weise ins Gesicht schlug, woraufhin der Mann zu Boden ging.
»Wer hier lügt, entscheide ich!« sagte der Anführer. »Du lügst, nicht die Ungläubigen.«
Tim war sich da gar nicht so sicher. Hätte er nicht zur Magie Zuflucht nehmen können, wäre ihm das Lügen nicht schwerer gefallen als dem Mann, der jetzt auf dem Boden lag.
»Nehmt ihnen die Handfesseln ab!« befahl der Anführer, wandte sich ab und ging zur Quelle zurück. »Und laßt sie trinken!« setzte er über die Schulter hinweg hinzu.
Jemand machte sich an Jims Handgelenken zu schaffen. Die Fesseln fielen ab, und im nächsten Moment hatte Jim den Eindruck, seine Hände seien in das raffinierteste Foltergerät eingespannt, das mittelalterlichem Erfindungsgeist je entsprungen war. Dabei kehrte lediglich das Blut in die Finger zurück; dennoch hätte er es beinahe bedauert, daß man ihm die Fesseln abgenommen hatte.
Brian ließ sich seine Qualen jedoch nicht anmerken -dabei verspürte er gewiß ebenso große Schmerzen wie Jim. Außerdem hielten die Fremden in ihrer Nähe begierig Ausschau nach irgendwelchen Anzeichen von Schwäche. Jim schaffte es, keine Regung zu zeigen, und der Schmerz verebbte ganz allmählich. Eine Zeitlang spürte er sogar, wie das Blut in seinen Händen pulsierte. Dann schwand auch dieses Gefühl, und es blieb nur noch der Schmerz der wundgeriebenen Handgelenke übrig.
Er hob die Arme und besah sich die Handgelenke. Es war kein schöner Anblick. Die Fesseln hatten tief in die Haut geschnitten, und das wunde Fleisch war blutverkrustet. Nachdem er getrunken hatte, wusch er sich im Tümpel die Hände - ihn und Brian hatte man zuletzt trinken lassen. Anschließend stellte er fest, daß die Handgelenke eher gequetscht als wund waren. Mittels Magie hätte er sie ebenfalls heilen können, allerdings hätte dann Gefahr bestanden, daß ihn irgend jemand dabei beobachtete. Je weniger man über seine Fähigkeiten wußte, desto besser.
Brian wusch sich außerdem das Gesicht; als die Blutspuren entfernt waren, sah er schon wieder erheblich besser aus. Anschließend gestattete man ihnen, ohne Fesseln weiterzumarschieren. Jim hatte unterdessen die Beule an der rechten Schädelseite untersucht - oder vielmehr die Stelle, wo die Beule einmal gesessen hatte, denn offenbar hatte er nicht nur die Gehirnerschütterung, sondern auch die übrigen Folgen des Schlages behoben.
Wenn der Weg breit genug war, durften sie sogar nebeneinander gehen. Auch die meisten der Fremden taten dies. Lediglich der Mann, der befohlen hatte, ihnen die Fesseln abzunehmen, ritt einsam an der Spitze.
Jim schwieg, und Brian schwieg ebenfalls. Mit einem kurzen Blick hatten sie ihr Einvernehmen über die Situation bekundet. Ihre Aufpasser hielten sich so dicht bei ihnen, daß sie jedes Wort hätten mithören können; das war zweifellos auch ihre Absicht. Vielleicht würden sie im Lauf des Tages noch Gelegenheit bekommen, ihre Eindrücke zu vergleichen und die Lage
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