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Drachenschwester 01 - Thubans Vermächtnis

Titel: Drachenschwester 01 - Thubans Vermächtnis
Autoren: Licia Troisi
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wäre in ihrem alten Bett erwacht, hätte Giovanna ungeduldig nach ihr rufen hören und dann Schwester Prudenzias Strafpredigt über sich ergehen lassen. Dieses stinknormale Leben, dieses langweilige Dasein, von dem kein Mensch in einem Buch hätte lesen wollen, fehlte ihr jetzt. Es war doch schön, immer zu wissen, was auf einen zukam, und vielleicht auch klüger, keine Ziele zu haben: Dann lief man keine Gefahr, an ihnen zu scheitern.
    » Ja, Mattia, das ist alles nur ein böser Traum«, sagte sie lächelnd, wobei sie ihn ansah.
    Er lächelte ebenfalls, dann fielen ihm wieder die Augen zu, und er schien einzuschlafen. Offenbar hatten ihre Worte ihn beruhigen können, denn sein Gesicht wirkte friedlich, er atmete tief und regelmäßig. Nach solch einem Schlaf erwachte man erholt und hat die Sorgen fast vergessen, die einen beim Einschlafen noch bedrückten. Sie ließ seine Hand los und betrachtete ihn, während ihre Augen feucht wurden, und dann saß sie da und weinte, ohne sich ihrer Tränen zu schämen: Einen solchen Schlaf würde es für sie nicht geben.
    Schon am Abend des nächsten Tages brachten Thomas und Sofia ihn nach Hause zurück. Mattia schlief noch, als sie ihn auf einer Bank gleich vor seiner Haustür ablegten.
    » Kann ich nicht mitkommen? Ich würde gerne dabei sein, wenn er in seinem normalen Leben aufwacht«, hatte Sofia den Professor gefragt. Er überlegte eine Weile, hatte dann aber nichts dagegen einzuwenden. Auf Thomas konnte er sich verlassen und außerdem würden sie nicht allzu lange fort sein.
    » Er wird sich an absolut nichts erinnern können«, hatte der Professor ihnen noch erklärt, bevor sie aufbrachen. » Die Knospe löscht alle Erinnerungen, nur bei Drakonianern nicht, und das heißt, dass Mattia sowohl das Grauen Nidhoggrs als auch das Gesicht seiner Retterin vergessen haben wird.«
    » Und was ist mit seinen Träumen? Wird er sich noch nicht einmal im Traum an mich erinnern?«, hatte Sofia nachgefragt.
    » Nein. Es bleiben keine Spuren erhalten«, bekam sie zur Antwort.
    Dann war das Vergessen also keine Strafe, sondern eine Gnade, dachte Sofia, eine Art gelobtes Land, zu dem ihr der Zutritt verwehrt war.
    Als Mattia erwachte, kauerten Thomas und Sofia hinter einer Hecke versteckt und beobachteten ihn. Verwirrt blickte der Junge sich um. Wahrscheinlich fragte er sich, wieso er dort draußen lag, oder er erinnerte sich dunkel an dieses blonde Mädchen …
    Verblüfft bemerkte Sofia, wie plump und ungelenk sein Körper wirkte, als er aufstand und zur Tür hinüberging. Dieser Mattia hatte nichts von dem Feind, gegen den sie zweimal gekämpft hatte. Neidisch verfolgte sie, wie er anklopfte und seine Mutter die Tür öffnete. Sie ließ sich keine Einzelheit von den Regungen entgehen, die sich im Gesicht der Frau abzeichneten, ihre Fassungslosigkeit, ihre Freude; sie erlebte mit wehmütigem Schmerz, wie sie ihren Sohn in die Arme nahm und fast an ihrer Brust erdrückte. Dann verschwanden die beiden im Haus, während Sofia noch ein paar Minuten wie verzaubert dastand und auf die Tür blickte.
    » Wir sollten jetzt gehen. Allzu lange dürfen wir uns nicht außerhalb der Barriere aufhalten«, flüsterte Thomas irgendwann.
    Sofia nickte betrübt und richtete sich auf, während ihr nun siedend heiß wieder einfiel, dass morgen das Urteil über sie gesprochen würde.

21
    In der Höhle des Löwen

    Lange blickte der Professor sie an, strich hier und dort glättend über ihren Mantel, zupfte an dem Schal herum, den sie um den Hals trug, und schaute sie dabei so an, als sehe er sie jetzt zum letzten Mal.
    » Jetzt muss ich aber los, Prof …«
    Sofia konnte diese fürsorgliche Art kaum ertragen. Sie war schon aufgeregt genug und dieses Abschiedsritual jagte ihr eine Höllenangst ein.
    » Ja, ja«, antwortete der Professor, so als erwache er aus irgendwelchen Gedanken, und drückte ihr dann einen kleinen Beutel aus blauem Samt in die Hand. » Hier ist die Frucht.«
    Sofia nahm ihn entgegen und drückte ihn fest an sich. Davon hing Lidjas Leben ab.
    Eine Windbö fuhr durch die Baumkronen jenseits des großen Tores, und Sofia musste den Schal festhalten, wobei ihre Fingerspitzen den Brustpanzer berührten, den sie unter dem Pullover trug. Es war eine Idee des Professors gewesen.
    » In den Jahren, in denen ich nach dir gesucht habe, habe ich mich ausgiebig mit den Dingen beschäftigt, die uns von Drakonien erhalten sind«, hatte er ihr erklärt, während er unten im Verlies in einem Schrankkoffer
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