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Drachenschwester 01 - Thubans Vermächtnis

Titel: Drachenschwester 01 - Thubans Vermächtnis
Autoren: Licia Troisi
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wiederfinden würde.
    Sofia fiel auf, dass der Tag seines Verschwindens noch vor dem Zeitpunkt lag, als der Professor sie zum ersten Mal im Waisenhaus besucht hatte. Dieser Gedanke jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Nidhoggr schien ihr immer einen Schritt voraus zu sein und ihr Handeln berechnen zu können, weil er von Dingen wusste, die ihr verschlossen waren.
    » Nidhoggr ist nicht stärker als wir«, sagte der Professor eines Abends zu ihr. » Das glaubst du vielleicht. Denn er hat dafür gesorgt, dass du es glauben musst. Angst ist das Werkzeug, mit dem er seine Opfer lähmt, und das hat er auch bei dir angewandt. Aber wenn es dir gelingt, nicht panisch zu werden, wird seine Waffe stumpf, und du kannst zum Gegenschlag ausholen.«
    Sofia fühlte sich nicht gerade beruhigt durch diese Erklärung. Für Angst war sie immer schon besonders anfällig gewesen. Ihr ganzes Leben lang hatte sie immer nur Angst gehabt: vor der Schule und vor dem Arzt, vor der Höhe und vor allem vor sich selbst. Auch jetzt fühlte sie sich wieder wie gelähmt von der Furcht: zu versagen, verwundet oder getötet zu werden. Selbst vor dem unaufhaltsam näher rückenden Tag, an dem sie wieder ganz gesund sein würde, fürchtete sie sich. Denn dann musste sie zeigen, was tatsächlich in ihr steckte, und irgendetwas tief in ihrer Seele flüsterte ihr zu, dass sich dann nur ihre Minderwertigkeit bestätigen würde, ihre Unfähigkeit, irgendetwas Sinnvolles zustande zu bringen. Und der Preis, den sie dafür bezahlen musste, würde immens sein: Der Preis war das Leben. Ihres und das von Lidja.
    Eines Morgens trat sie zu dem Jungen, der in der heilenden Strahlung der Knospe lag, und betrachtete ihn. Er war noch nicht wieder zu sich gekommen, nachdem der Professor ihn von dem Implantat befreit hatte, aber sie sah, dass es ihm schon viel besser ging, denn die Wunden, die ihm die Häkchen ins Fleisch gerissen hatten, vernarbten bereits. Dieser Anblick erfüllte sie mit Stolz. Denn schließlich war es auch ihr Verdienst, dass er dem Tod entronnen war. Jetzt ergriff sie seine Hand und merkte, dass sie sich schon warm anfühlte, wie die eines Menschen und nicht einer Maschine. Diese Berührung weckte Mattia. Er schlug die Augen auf.
    Einen Moment lang fürchtete Sofia, plötzlich wieder dem niederträchtigen Blick des Unterjochten zu begegnen. Doch die Augen, in die sie schaute, waren hellbraun, und die Züge des Jungen wirkten ruhig und harmlos. » Hallo«, sagte sie schüchtern.
    » Wer bist du?«, fragte er mit schwacher Stimme und starrte sie verwundert an.
    » Ich heiße Sofia«, antwortete sie. » Schön, dass du wieder wach bist, du hast lange geschlafen …«, fügte sie dann noch hinzu.
    Der Junge schloss die Augen, die bereits voller Tränen waren, und schniefte. » Wo bin ich denn hier? Du bist doch bestimmt auch so eine Hexe?«
    » Nein, ich …« Tja, was war sie? Hatte es überhaupt Sinn, ihm zu erklären, dass sie eine Drakonianerin war? Wie sollte er das verstehen? Er gehörte doch einer anderen Welt an, einer Welt, die ihr selbst mehr als zuvor verschlossen war.
    » Ich gehöre zu den Guten«, antwortete sie schließlich, weil ihr nichts Besseres einfiel.
    Mattia schien ein wenig Vertrauen zu fassen und drückte Sofias Hand fest. » Du weißt nicht, wie furchtbar das war … Es war so finster und so entsetzlich kalt … Und dann war da gar nichts um mich herum … Ich trieb in so einer schwarzen Gelatine und hab geschrien und geschrien, aber niemand hat mich gehört …«
    Sofia konnte diese Seelenqualen mitempfinden, die Mattia bedrückten. » Es ist vorbei, du hast es überstanden«, redete sie ihm besänftigend zu. » Jetzt wird alles gut.«
    Mattia schniefte wieder, riss dann die Augen weit auf und starrte sie erschrocken an. » Das ist bestimmt auch nicht die Wirklichkeit hier, oder? Das ist auch wieder so ein Albtraum. Aber ich will endlich aufwachen. Ich will morgen wieder zur Schule, auch wenn Giada mich wieder nicht beachtet und die anderen sich über mich lustig machen …« Er kicherte, ein verzweifeltes, freudloses Lachen. » Verdammt, ich hätte nie geglaubt, dass ich mir das einmal wünsche.«
    Einen Moment lang schloss Sofia die Augen. Ihr selbst hatte sich vor einiger Zeit die Gelegenheit geboten, das Rad zurückzudrehen. Da hätte sie ihrem Schicksal die kalte Schulter zeigen und ins Waisenhaus zurückkehren können. Dann wäre all das, was sie in den letzten Monaten erlebt hatte, an ihr vorübergegangen. Sie
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