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Drachenschwester 01 - Thubans Vermächtnis

Titel: Drachenschwester 01 - Thubans Vermächtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Licia Troisi
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durchschritt das Tor, ohne sich noch einmal umzudrehen.
    Immer stärker wurde der Wind. Sofias Mantel flatterte an allen Stellen, und es nutzte nichts, dass sie ihn mit einer Hand fest über der Brust zusammenzog. Der Weg ging bergauf, und mit dem eiskalten Wind, der ihr Tränen in die Augen trieb, fiel ihr jeder Schritt noch schwerer.
    Alles wirkte an diesem Abend so unheimlich. Der Wind heulte und wirbelte den Staub und das trockene Laub vom Boden auf. Die klobigen Umrisse der Villa warfen einen langen düsteren Schatten auf den Weg. Doch gleichzeitig wusste Sofia, dass sie sich das alles nur einbildete. Die Angst verzerrte ihre Wahrnehmung und damit die Formen der Dinge. Zudem spürte sie deutlich, dass Nidhoggr um sie herum war. Nicht leibhaftig, aber in anderer Gestalt. Sein Geist waberte zwischen Bäumen umher, schwebte durch die leeren Säle und lugte aus den geöffneten Fenstern hervor. Er wartete auf sie, lauerte ihr auf und würde ihren ersten falschen Schritt sofort für sich nutzen. In den Tiefen ihrer Seele suchte Sofia nach Thuban, fand aber nichts als schaurige Stille. Sie war in Panik.
    So erreichte sie mit einiger Mühe den Platz vor dem großen eisernen Haupttor. Es war nur angelehnt und ließ einen Spalt bedrohlicher Finsternis erkennen.
    Sofia war alles fremd. Noch nie war sie an diesem Ort gewesen und hatte früher auch nie von ihm gehört. Nach Auskunft des Professors musste es sich aber um eine der schönsten Villen südlich von Rom handeln, vielleicht nicht die bekannteste, mit Sicherheit aber die ungewöhnlichste.
    » Die Villa ist ein echtes Kleinod. Sie wurde auf antiken römischen Fundamenten erbaut und unter ihren Mauern sollen große Teile des ursprünglichen Gebäudes sogar noch erhalten sein.«
    » Warum hat Nidhoggr ausgerechnet die gewählt?«
    » Ganz genau weiß ich das auch nicht. Aber in einer fernen Vergangenheit scheint ihr dort einmal gegeneinander gekämpft zu haben. Vielleicht hat der Ort für euch Drakonianer eine ganz besondere Bedeutung.«
    Während sie auf das Tor blickte, suchte Sofia in ihrem Gedächtnis nach irgendwelchen Erinnerungen an diesen Ort. Aber an diesem Abend ließ sich Thuban wirklich lange bitten. Als sie einen der beiden Flügel aufstieß, mischte sich das Quietschen mit dem Pfeifen des Windes, der durch den Spalt blies, ihr Haar zerzauste und ihr Strähnen in den Mund wehte. Schnell schlüpfte sie hinein und zog die Tür hinter sich zu.
    Doch zu ihrer Überraschung war sie nicht in einem abgeschlossenen Raum. Sie stand in einem Torbogen und erkannte an den Seiten zwei Metalltore. Vor ihr öffnete sich ein weiter Platz, der von völlig kahlen Ulmen umstanden war. Auf der anderen Seite lag der eigentliche Eingang: eine breite verglaste Veranda, die an einen Bahnhof aus dem 19. Jahrhundert erinnerte, wie sie ihn in Schulbüchern gesehen hatte. Eine große Uhr darüber zeigte 23.59 Uhr an, was Sofia aus irgendeinem Grund verhängnisvoll vorkam. Ihre Schritte hallten über den Platz, und hin und wieder musste sie sich umdrehen, um Luft zu holen, denn es stürmte derart, dass es ihr den Atem nahm. Die Baumkronen knarrten und ächzten, während das trockene Laub vor ihr durch die Luft tanzte.
    Kaum hatte sie die Mitte des Hofes erreicht, sprang der Zeiger auf zwölf, und die düsteren Schläge einer Glocke setzten ein, in einem Rhythmus, den Sofia kannte, weil sie ihn einmal im Waisenhaus gehört hatte. Damals hatten ihnen die Nonnen erklärt, dass das ein Totengeläut sei. Und plötzlich legte sich der Wind, bleischwer fielen die Blätter zu Boden und eine unnatürliche Stille machte sich breit.
    Sofia blieb erstarrt stehen. Alles war in diese unwirkliche Atmosphäre gehüllt, kein Laut war zu hören außer den Glockenschlägen, und wie Hilfe suchend ausgestreckte Arme reckten sich die kahlen Äste der Bäume vor. Die Augen weit aufgerissen, starrte sie zur Uhr und begriff plötzlich, dass sie in der Falle saß. Alle Tore waren geschlossen. Sie würde sterben, und das auch noch völlig sinnlos. Es war ein Fehler, sich hierher locken zu lassen.
    Sie schaute zurück zum Tor, durch das sie gekommen war. Vielleicht war es nicht zugesperrt und sie konnte noch fliehen.
    » Beruhig dich. Du wusstest doch, was auf dich zukommt. Trotzdem hast du dich auf den Weg gemacht. Vertrau auf Thuban, er wird dir helfen. Du darfst jetzt nicht kneifen « , versuchte sie, sich Mut zu machen.
    Den Blick nach vorn gerichtet, um eine entschlossene Haltung bemüht, ging sie weiter.

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