Drachenschwester 01 - Thubans Vermächtnis
die Mitschüler quietschend die Tische und drängten johlend hinaus. Eigentlich war es kein schlechter Tag gewesen. Er hatte sich bemüht, dem Unterricht aufmerksam zu folgen, und so war es ihm gelungen, Giada und den anderen aus dem Weg zu gehen. Dass er damit wieder seinem schlechten Ruf als Streber gerecht wurde, kümmerte ihn nicht. Im Moment kam es nur darauf an, weiteren Schaden zu verhindern, und das war ihm heute gelungen. So hatte er Giadas Rücken keines einzigen Blickes gewürdigt, was angesichts der Tatsache, dass sie gleich vor ihm saß, schon ein Erfolg war.
Als er sich nun allein auf den Weg in den Schulhof hinaus machte, hatte er allerdings noch keine Ahnung, was er dort würde sehen müssen.
» Mauro!«, rief Giada, wobei sie weit ausholend jemandem zuwinkte und dann zu laufen begann.
Mattia sah ihr nach und bemerkte neben dem offenen Schultor einen Jungen, um den eine lärmende Schülerhorde einen Kreis gebildet hatte. Bewundernd starrten sie ihn an. Er war groß gewachsen, lächelte wie ein Hollywoodstar und trug eine schwarze Lederjacke, unter der man einen im Fitnessstudio gestählten Körper erahnen konnte. Wie er so in Rennklamotten auf seinem Motorrad saß, während um ihn herum die vom Wind geschüttelten Platanen ihre gelben Blätter aufs Kopfsteinpflaster des Schulhofs regnen ließen, hätte man das Ganze für eine Szene aus » Top Gun« halten können. Nur Mattia, dem die Tränen in die Augen stiegen, passte nicht ins Bild.
» Ciao, Bellissima!«, begrüßte der Halbstarke Giada und musterte sie selbstbewusst.
Mattia zählte eins und eins zusammen. Das war der Typ, von dem Giada gestern erzählt hatte, der Schüler aus der Oberstufe, für den sie schwärmte. Vom Alter her stimmte es, er mochte wohl siebzehn, vielleicht schon achtzehn Jahre alt sein. Mattia ließ die Schultern hängen. Da war nichts zu machen. Ihm blieb nichts anderes übrig als ein würdevoller Rückzug, also mit dem Blick auf den Boden einfach nach Hause gehen. Giada war ein paar Nummern zu groß für ihn, das war ihm immer klar gewesen, weshalb er mit einer solchen Szene hätte rechnen müssen. Und doch blieb er wie angewurzelt stehen und beobachtete, wie sie diesem Mauro entgegenstürmte und sich in seine Arme warf, während ihr modisch kurzer Rock verführerisch wippte und ihre wahrlich vollkommenen Oberschenkel sehen ließ. Dann der Gnadenstoß: Giada drückte Mauro einen langen Kuss auf die Lippen, in Zeitlupe.
Ein Kuss. Auf die Lippen. Nicht zu fassen.
Mattia meinte deutlich wahrzunehmen, dass die Welt um ihn herum ins Wanken geriet und zu zerbröseln begann. Wenn er aufmerksam lauschte, hörte er das KRACK, als sein Herz brach, so wie man es aus Comicheften kannte. Als er spürte, dass seine Augen immer stärker brannten, wusste er, dass er nicht mehr tiefer sinken konnte.
» Mattia, was stehst du da wie bestellt und nicht abgeholt?« Eine barsche Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. Luigi, kein Zweifel. Der ließ sich keine Gelegenheit entgehen, ihn vor allen anderen bloßzustellen. » He, Leute, schaut euch mal Mattia an!«
Im Nu hatten sich alle Schüler im Hof zu ihm umgedreht.
» Schaut euch den an. Wie beknackt der dasteht. He, Mattia, hast du echt nicht gewusst, dass sich Giada nur für starke Typen interessiert. Hast du wirklich gedacht, die würde sich mit einer Null wie dir einlassen?«
Für den Bruchteil einer Sekunde fragte sich Mattia, wie sie nur von seiner unglücklichen Liebe zu Giada wissen konnten.
» Du Idiot! Sie hat ja sogar selbst gesagt, dass sie gemerkt hat, wie du sie anstarrst. Das steht dir alles ins Gesicht geschrieben « , beschimpfte er sich im Geiste selbst. Doch für solche Gedanken war jetzt keine Zeit. Er musste etwas tun. Die Scham und die Erniedrigung waren so stark, dass seine Wangen und Ohren zu glühen begannen.
Die ganze Horde brach in Gelächter aus. Giada aber hatte nur einen verächtlichen Blick für ihn übrig. Bestimmt war ihr die Situation unangenehm und lästig. Es war beschämend, wenn so sein Loser wie er hinter dem schönsten Mädchen der ganzen Klasse her war.
Nun spürte Mattia auch noch, wie ihm die Tränen herabliefen. Aber er konnte nichts dagegen tun. » Hört auf …«, schluchzte er leise. » Hört auf!«, rief er dann lauter, doch der höhnische Chor übertönte seine Stimme. Da rannte er los, floh vom Schulhof und wäre am Eingangstor fast mit Giada zusammengestoßen.
Er bog um die nächstbeste Ecke und lief noch ein Stück weiter, bis das
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