Drachenschwester 01 - Thubans Vermächtnis
versprechen, nicht zu lachen, wenn mir schwindlig wird«, murmelte Sofia unsicher.
» Ja, ich schwöre es«, beruhigte sie der Professor mit überzeugender Miene und drückte dann fest ihre Hand.
Sofia warf noch mal einen Blick auf die Balustrade aus Travertinstein. Viele Leute standen davor, Touristen, knutschende Pärchen, ein paar Jungen, die wohl die Schule schwänzten.
Sie atmete tief durch und fasste sich ein Herz, machte den ersten Schritt, den zweiten, doch schon beim dritten begannen ihre Beine zu zittern. Doch sie ging weiter, den Blick geradeaus gerichtet, während der Professor ihre Hand hielt, sodass sie sich fast sicher fühlte. Die Aussicht war tatsächlich überwältigend: Zu allen Seiten um sie herum breitete sich die Stadt mit ihren Kuppeln und Dächern endlos weit aus. Noch nie im Leben hatte sie etwas Vergleichbares gesehen, und sie staunte so sehr, dass sie kaum noch die Stimme des Professors hörte, der ihr die wichtigsten Sehenswürdigkeiten zeigte. War das wirklich ihr Zuhause, diese grenzenlose Stadt?
» Hier bin ich wirklich geboren?«, sagte sie, ohne lange darüber nachzudenken.
» Das ist deine Heimatstadt, Sofia. Diese Riesenmetropole mit ihrer langen, sagenhaften Geschichte und ihren fast fünf Millionen Einwohnern. Und mit denen, die nur hier arbeiten, kommen täglich noch viele Tausende hinzu. 2700 Jahre gibt es diese Stadt bereits, das heißt, viele, viele Generationen von Menschen haben sie als die ihre betrachtet.«
Sofia fühlte sich verloren in dieser Weite.
» Rom ist nicht mein Zuhause « , dachte sie spontan. Oder höchstens jenes Rom, das von den Mauern des Waisenhauses begrenzt wurde, nicht aber diese Metropole, die sich wuchernd vor ihr ausbreitete. Und plötzlich kam ihr die marmorne Stadt aus ihren Träumen in den Sinn. Ihre Stadt, ihr wahres Zuhause.
Ihr Blick schweifte über die Piazza del Popolo unter ihr, blieb an dem Obelisken hängen und glitt an ihm hinunter … Das war zu viel. Ein heftiger Schwindel erfasste sie, und nur mit letzter Kraft konnte sie sich von der Brüstung lösen, während sie den Halt unter den Füßen verlor und um sie herum alles schwarz wurde.
» Tut mir leid …«, murmelte sie, als sie ein wenig später am Tischchen in einer Bar vor ihrem Fruchtsaft saß.
» Mach dir keine Gedanken. Das war nicht deine Schuld. Ich hätte dich nicht so drängen sollen. Trink erst mal etwas, dann geht’s dir gleich besser«, sagte der Professor und blickte sie verständnisvoll an.
Sofia kam sich wie ein Weichei vor, doch dieser Mann schien nie von ihr enttäuscht zu sein. » Tut mir leid, dass ich vorhin gelacht habe. Ich fand es nur so komisch, dass ein Mensch wie du unter Höhenangst leidet.«
» Wie meinen Sie das?«, fragte Sofia neugierig.
Der Professor ließ sich Zeit mit der Antwort. Er rückte sich die Brille auf der Nase zurecht, blickte sich um und schien nicht recht zu wissen, wie er anfangen sollte. » Nun, dein Vater war so eine Art Pilot«, erklärte er schließlich. » Mit anderen Worten, er liebte es zu fliegen.«
Sofia sah den Professor erstaunt an, dann wurde sie traurig. » Das habe ich sicher nicht von ihm geerbt.«
» Keine Sorge. Höhenangst ist keine große Sache, mit der Zeit verliert sich das, du wirst sehen.«
Sofia lächelte schwach, wenig überzeugt.
Den ganzen Tag waren sie in der Stadt unterwegs. Sie besichtigten alle Sehenswürdigkeiten in der Innenstadt, Piazza Venezia, das Kapitol mit seinem herrlichen Blick auf das Forum Romanum, und schlenderten dann weiter zur Spanischen Treppe und auch noch zur Piazza Navona. Es war eine ganz neue Welt, die Sofia nun kennenlernte, eine Welt, die sie nur aus Büchern kannte, sich aber so manches Mal, im dunklen Schlafsaal in ihrem Bett, ausgemalt hatte. Es war alles so groß. Und so schön, dass es kaum auszuhalten war. Wenn sie sah, wie viele Passanten gleichgültig am Trevi-Brunnen entlanghasteten, fragte sie sich, wie das möglich war. Da hatten sie solch ein fantastisches Kunstwerk vor der Nase und liefen achtlos daran vorbei.
Professor Schlafen war ein redseliger Fremdenführer. Zu jeder Sehenswürdigkeit erzählte er ihr etwas, zu allem kannte er eine Anekdote, doch Sofia hörte ihm nur mit halbem Ohr zu. Zu sehr war sie von der monumentalen Pracht dessen eingenommen, was sie um sich herum sah. Als habe die Stadt etwas Übertriebenes, Maßloses, etwas, das ihr selbst nicht entsprach.
» Was hältst du von der Stadt?«, fragte der Professor sie irgendwann.
» Sie
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