Drachenschwester 01 - Thubans Vermächtnis
undeutlich drangen seine Worte an ihr Ohr.
» Zum See … bringen Sie mich bitte zur Villa am See …«
Unablässig wiederholte sie diese Bitte, so kam es ihr zumindest vor, wie eine Litanei, während der Mann ständig nachfragte, weil er sie nicht verstand. Schließlich hob er sie hoch und trug sie zu seinem Wagen, während Sofia die Frucht fest an sich drückte, deren Wärme ihr ein wenig Kraft gab.
» Zum See, bitte …«, stöhnte sie noch einmal und schlief dann langsam ein.
Geruch von Desinfektionsmitteln, weiße Kittel. Fragen, Gemurmel. Sofia bekam kein Wort heraus, war noch zu erschöpft, um mit der Welt um sie herum zu reden, die sie wie durch eine Glasscheibe wahrnahm. Da waren der Professor, der sie besorgt anschaute und hin und wieder fürsorglich den Arm um sie legte, Ärzte, die ihre Wunden mit brennenden Tinkturen versorgten, und sogar ein Carabiniere, der sie mitleidsvoll betrachtete, für ihren Vormund aber nur strenge, vorwurfsvolle Blicke übrig hatte. Sofia begriff nicht, was vor sich ging, murmelte nur immer wieder diesen einen Namen, Lidja; sie wollte wissen, ob man etwas von ihr gehört hatte, erhielt aber keine Antwort.
Erst am nächsten Morgen, als sie in ihrem eigenen Bett erwachte, drehte sich die Welt wieder mit normaler Geschwindigkeit. Es war ein wunderschöner Wintertag und eine kräftige Sonne erhellte das Zimmer. Jeder Muskel im Leib tat ihr weh. Selbst wenn sie sich nur ein wenig aufrichten wollte, durchfuhr ein unerträglicher Schmerz ihren Arm. Sie fühlte sich furchtbar schwach, obwohl sie, dem Stand der Sonne nach zu urteilen, lange geschlafen hatte.
Dennoch versuchte sie aufzustehen und schaffte es auch irgendwie, sich auf den Beinen zu halten. So schleppte sie sich zur Tür und hatte sie auch schon fast erreicht, als Thomas hereinkam.
» Wo wollen Sie denn hin?«, rief er und legte den Arm um sie, um sie zum Bett zurückzuführen. » Sie brauchen Ruhe. Dringend!«
Sofia versuchte, sich zu wehren, doch schon hatte er sie wieder ins Bett gebracht und zugedeckt.
» Wo ist der Professor?«
» Der ist nicht da, tut mir leid«, antwortete der Diener, ohne den Blick zu heben.
» Und Lidja? Seit wann ist sie zurück?«, fragte Sofia weiter, von einer schlimmen Vorahnung erfüllt.
Thomas zog noch ein wenig an der Bettdecke herum und tat so, als habe er sie nicht gehört.
Erschöpft ließ sich Sofia aufs Kopfkissen zurückfallen. » Ich muss es wissen. Sagen Sie mir, was los ist. Ich flehe Sie an …«
» Sie ist noch nicht zurück«, antwortete Thomas endlich, wobei er sie seufzend anblickte. » Der Professor sucht nach ihr, seit gestern Abend …« Er hielt sie zurück, indem er ihr beide Hände auf die Schultern legte, damit sie liegen blieb. » Und er hat mir aufgetragen, mich um Sie zu kümmern, und ausdrücklich verboten, dass Sie aufstehen.«
Sofia versuchte, sich frei zu machen, schaffte es aber nicht. » Sie verstehen das nicht. Sie haben diese Frau nicht gesehen. Die ist zu allem fähig. Wir müssen Lidja finden. Wir müssen sie retten!«
Thomas’ Griff blieb eisern. » Aber was wollen Sie denn tun? Sie sind verletzt und völlig erschöpft. Nein, Sie bleiben jetzt brav liegen.«
Sofia blieb nichts anderes übrig, als ihren Widerstand aufzugeben. Als sie sich wieder aufs Kissen zurücksinken ließ, genoss sie es, wie weich es war, eine Wohltat für ihren schmerzenden Rücken. Und plötzlich überkamen sie furchtbare Schuldgefühle: Sie lag in ihrem bequemen Bett und konnte sich ausruhen, während Lidja – wenn sie überhaupt noch lebte – irgendwo verschollen war, und das nur durch ihre Schuld. Sie hatte sie in dieses verfluchte Abenteuer mit hineingezogen und in der Höhle in den Fängen dieser entsetzlichen Frau zurückgelassen. Tränen traten ihr in die Augen, sie schluchzte und begann, fürchterlich zu weinen. Dabei spürte sie Thomas Hände, die väterlich ihre Schultern drückten, aber auch diese Geste tröstete sie nicht. Allerdings wollte sie das auch gar nicht. Sie wollte leiden, wollte büßen, auch wenn es nur ein kleiner Preis war, den sie damit zahlte, angesichts des Leids, das sie verursacht hatte und das noch längst nicht ausgestanden war.
» Nicht verzweifeln … ich bin sicher, die beiden werden zusammen zurückkehren. Sie werden sehen …«, redete Thomas ihr leise zu. Doch es wollte ihr nicht gelingen, ihm zu glauben.
Gegen Abend kehrte Professor Schlafen heim. Sofia hörte, wie er die Tür öffnete und von Thomas begrüßt wurde. Die
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