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Drachenseele (German Edition)

Drachenseele (German Edition)

Titel: Drachenseele (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angela Planert
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Clara mich dann von der Polizei abholen musste, weil eine leerstehende Scheune in Brand stand, zog sie die Konsequenz. So kam ich in die WG. Wie es das Schicksal aber wollte, traf ich in der WG einen Typ, der Feuerschlucker war. Er hat mich nach der Schule trainiert und wir sind zusammen öfter aufgetreten.“
    „Davon hast du nie erzählt.“ 
    „Nein! Jedenfalls kennen mich dadurch mehr Leute als mir lieb ist, verstehst du das?“
    „Klar, das verstehe ich.“ Sie wirkte verständnisvoll. „Schade, ich hätte dich gern mal bewundert.“
    Er schüttelte den Kopf, dachte dabei an das Unglück zurück. Während des Trainings, bei einer neuen Variante, hatte sein Trainer schwere Verbrennungen im Gesicht und auf der Brust erlitten. Ein viertel Jahr später wählte er den Freitod.
    „Keine Chance! Damit habe ich endgültig aufgehört.“ Vor seinem geistigen Auge sah er den Unfall erneut vor sich.
    „Dann bleiben uns nur noch vier Tage?“
    Marcus nickte. „Wir werden uns so oft sehen, wie es nur geht, versprochen!“ Diese innere Unruhe von heute Mittag verstärkte sich weiter.
     
    Der Liebesakt hatte Nicole in den Schlaf gewiegt. Marcus hingegen bekam kein Auge zu. Sein erhöhter Herzschlag wollte nicht zur Ruhe kommen, ebenso wenig wie sein Atem. Er hatte das Gefühl, als sei sein Mund zu klein, um seine Lungen zu füllen. Von Unruhe getrieben stand er auf, leise, um Nicole nicht zu wecken. Seine Unterhose, sein T-Shirt empfand er plötzlich als lästig, zog sie deshalb aus. Jetzt fühlten sich seine Atemzüge viel tiefer an.
    Luft!
    Er brauchte frische Luft. Im Wohnzimmer riss er das Fenster auf. Ein sanftes Kribbeln durchströmte seinen Kopf, bis runter zum Steißbein, sogar noch weiter, als würde ihm ein Schwanz wachsen. Er verspürte den Drang auf das Fensterbrett zu klettern. Dort hockend streckte er die Arme zur Seite und spreizte die Finger. Sein Puls raste. Eine innere Kraft trieb ihn dazu sich nackend auf eine Fensterbank zu hocken.
    Verlor er völlig seinen Verstand? Marcus schloss die Augen und ließ sich fallen.
    Der Wind streifte sein Gesicht. Er fühlte sich großartig, bewegte seine Arme dabei auf und ab, als wäre er ein Vogel. Was für ein fantastisches Gefühl. Marcus öffnete die Augen. Unter ihm lagen Wohnhäuser und Straßen.
    Er flog!
    Seine Arme hatten sich zu Flügeln verwandelt, moosgrüne Flügel. Diese Empfindung von Freiheit, von unendlicher Weite, die keine Grenzen kannte, bestätigte ihm, ein Drache zu sein: der Drache Narvalvar.
    All die Jahre im Kinderheim, in der Wohngemeinschaft, hatte er sich fremd gefühlt, oft sogar deplaziert. Aber das hier vermittelte ihm eine Geborgenheit, wie er sie nur an Nicoles Seite erfahren hatte. Er flog über die Stadtgrenzen hinaus, tauchte von seinem Instinkt geleitet in einen entlegenen See. Die Bew e gungen unter Wasser erinnerten ihn an einen gigantischen R o chen, der durchs Meer gleitet. Ohne nachzudenken folgte er seiner inneren Stimme. Mehrere Fische verschwanden in seinem Rachen. Dies war ein Teil seines Hungers, den er stillen musste. Erst nach Stunden im See verspürte er ein Gefühl des Sattseins. Dieses Bad schien seine Kraftreserven aufzufüllen. Mit beinah der gleichen Leichtigkeit, die er besonders im Wasser empfand, flog er aus dem See über die Baumkronen hinweg. Eine nie da gewesene Zufriedenheit überkam ihn. Der Weg zurück zur Stadt gelang ihm mühelos, obwohl er sich nicht zu orientieren brauchte. Vielmehr schien Nicoles Wohnzimmer wie ein Ma g net, den er nicht verfehlen konnte. Mit seinen Füßen zuerst landete er gezielt auf dem Fensterbrett, als habe er schon hu n dert Landungen hinter sich. Im nächsten Moment spürte er, wie sich aus den dünnen Flügeln, die Arme, aus seinen flossenäh n lichen Hinterläufen, die menschlichen Beine entwickelten. Er kletterte als Marcus ins Wohnzimmer zurück. Bleierne Müdi g keit überfiel ihn, wie ein schwerer Vorhang.
     
    „Was ist mit dir?“ Eine Hand knetete sein Gesicht. „Marcus?“ Vergeblich bemühte er sich seine Augen zu öffnen, als wären sie zugeklebt. Nicole haute ihm auf die Wange, „Marcus! Sieh mich an! Marcus!“
    „Ich lauf ja nicht weg“, hörte er sich nuscheln.
    „Verdammt Marcus, du warst wieder ohnmächtig.“
    Dann sollte er seinen Ausflug zum See nur geträumt haben? Endlich gelang es ihm zu blinzeln. Nicole machte ein erschrockenes Gesicht.
    „Schon gut, ich bin in Ordnung!“ Langsam richtete er sich auf, das kostete ungewöhnlich viel

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