Drachenspeise: 1 (Ein Märchen für große Mädchen) (German Edition)
heute Milchbrei?« Waja konnte es nicht lassen, den Prinzen zu foppen. Er ertrug es tapfer.
»Natürlich, liebste Tante! Ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen, so sehr habe ich mich nach diesem vorzüglichen Milchbrei gesehnt! Wie hat unser neuer Schützling die Nacht verbracht? Janica war dein Name, nicht wahr? Hast du gut geschlafen?« Er wandte sich direkt an die junge Frau. Es wäre unhöflich von Janica gewesen, wenn sie ihn jetzt nicht angesehen hätte. Noch immer flammten rosenfarbenen Flecken auf ihren Wangen.
»Ich danke Euch, Hoher Herr, für die wundervollen Räume, in denen ich ruhen durfte! Behandelt Ihr alle Eure Sklaven so zuvorkommend?« Janica wusste nicht recht, wo sie hinschauen sollte. Unter der glatten, leicht bronzefarbenen Haut des Prinzen spielten kräftige Muskeln. Sein langes sonnenfarbenes Haar hing als zerzauste Mähne auf seinem Rücken. Nur mühsam wendete sie ihren Blick von seinen sehnigen Schenkeln ab und konzentrierte sich auf die Augen. Während sein Körper Janica an eine sprungbereite Raubkatze erinnerte, strahlten seine Augen Wärme und Mitgefühl aus.
»Da du meine erste und einzige Sklavin bist, kann ich deine Frage nicht beantworten!« Er schob sich einen Löffel Milchbrei in den Mund und musterte Janica dabei ausführlich. Es gefiel ihm, dass sie sich für eines der Kleider entschieden hatte, die er am Vortag noch für sie hatte bringen lassen. Das karmesinrote, für die Frauen in Wasserland übliche Ensemble aus Kaftan und weiter Pluderhose ließ ihr Haar leuchten wie ein natürliches Goldgeschmeide. Die weiße Gürtelschärpe betonte ihre schmale Taille, er würde vermutlich keine Mühe haben, sie mit seinen Händen zu umfassen. Den Haarschleier trug sie hier im Harem natürlich nicht, vielleicht wusste sie auch gar nichts damit anzufangen. Soweit Avid wusste, war es auf dem Festland nicht üblich, dass Frauen ihren Kopf auf diese Weise verhüllten. Wenn er dieses zarte Ding recht betrachtete, war er sogar froh, dass sein Vater sie nicht Anadid als ein weiteres Spielzeug überlassen hatte.
»Ich werde nachher nach Nurripur zu meinem Schiff fahren, und du, Janica, wirst mich begleiten!« Er ließ den Löffel in die Breischüssel fallen und griff nach einem gesüßten Brötchen. Beim Aufstehen dachte er nicht mehr an seine spärliche Bekleidung und der Schal um seine Hüften rutschte recht weit nach oben. Janica hatte nicht schnell genug weggeschaut. In ihrem bisher so behüteten Leben hatte sie noch nie einen vollständig nackten Mann erblickt. Und was sie da unter Avids Tuch hatte hervorlugen sehen, machte ihr ein wenig Angst.
18.Kapitel: Ein Heiratsantrag
Nur wenig später saß sie neben dem – diesmal vollständig bekleideten – Prinzen in einer offenen Kalesche. Waja hatte höchstpersönlich den zarten weißen Haarschleier mit der auf das leuchtende Rot ihres Gewandes abgestimmten Stickerei kunstvoll um Janicas Kopf drapiert, bevor sie von La’ad vor das Haus geleitet worden war. Auf seinen unvermeidlichen Speer gestützt hatte der Eunuch zugesehen, wie Avid der jungen Frau auf die gepolsterte Sitzbank des Wagens geholfen hatte, bevor er langsam ins Haus zurückgeschlurft war. Janica kam der Gedanke, dass La’ad den Speer nur überall mit sich herumschleppte, um sich daran abzustützen und weil ein Eunuch mit einem Gehstock eine lächerliche Erscheinung war.
Avid bemühte keinen Kutscher, sondern nahm die Zügel der beiden Rappen selbst in die Hand.
»Sitzt du bequem, Janica?«, erkundigte er sich höflich. Sie nickte nur. Hatte der prächtige Park Janica am Vortag schon sprachlos gemacht, überrollte die Schönheit dieses Ortes sie jetzt mit aller Macht. Die ganze Anlage war eine fantastische Komposition für alle Sinne. Der Duft der Blüten mischte sich mit dem Farbenspiel der Anpflanzungen, das leise Zwitschern von Vögeln lag wie ein Hauch von Musik über den riesigen alten Bäumen.
»Ich will dir ein wenig von Wasserland zeigen, denn wenn ich wieder in See gestochen bin, wirst du das Haus nicht verlassen können. Eine Haremssklavin wie du darf ohne ihren Herren nicht in die Öffentlichkeit gehen, darauf stehen hohe Strafen!« Der Prinz ließ die Zügel auf die Pferderücken klatschen und schnalzte mit der Zunge. Gemächlich setzte sich das Gefährt in Bewegung. Zunächst kamen die unheimlichen Statuen wieder in Janicas Sichtfeld und trieben ihr kalte Schauer über den Rücken.
»Wird man für das unerlaubte Verlassen des Hauses etwa auch diesem
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