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Drachenspiele - Roman

Titel: Drachenspiele - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blessing <Deutschland>
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andere Erwiderung hatte er auch jetzt nicht.
    Als er am Abend im Internet die New York Times lesen wollte, zeigte sein Postfach eine neue Nachricht von Yin-Yin an. Paul überflog die Zeilen.
    Â 
    Betreff: ???
Empfangen: 9:48
    hi paul,
    danke für die schnelle antwort. freut mich, dass es dir gut geht.:-)
    mir leider nicht. schlafe schlecht. spiele schlecht. bin mit meinen gedanken woanders. das nehmen mir mozart und mendelssohn übel, johann sebastian übrigens auch (nicht bach!;-)
    war gestern noch einmal bei anwalt chen. was er über das internet erzählt hat, ging mir nicht aus dem kopf. er hat mir mut gemacht. das internet, sagt er, sei die steinschleuder der davids im 21. jahrhundert. hab zwar keine ahnung, was er damit meint, aber klang gut. er glaubt, dass mir nichts passieren kann, wenn ich in ein kleines internet-café gehe und auf anonymität achte. ich darf absolut niemandem davon erzählen. aus dem text darf nicht hervorgehen, wer ihn geschrieben hat. was meinst du? geht das? sicher, ein risiko ist immer dabei, eine garantie gibt es nicht. morgen kommt mein bruder aus hangzhou zurück. ich werde mal abwarten,
    was er sagt. melde mich dann.
    yin-yin

    Â 
    Die Flüchtigkeit elektronischer Mitteilungen war ihm ein Gräuel; er druckte den Brief aus, las ihn noch einmal gründlich und antwortete kurz.
    Â 
    Betreff: Ermutigung
    Hi Yin-Yin,
    danke für Deine Nachricht. Ich bin Chens Meinung, das Internet ist Eure beste Chance. (Kennst Du die Geschichte von David gegen Goliath wirklich nicht?)
    Deinen Text anonym zu halten sollte kein Problem sein, ich helfe Dir dabei, wenn Du möchtest. Du kannst ihn mir jederzeit schicken, ich überarbeite ihn gern, falls das überhaupt nötig ist.
    Auf die Gespräche in Hangzhou würde ich keine großen Hoffnungen setzen. Lass Dich von Deinem Bruder nicht entmutigen!
    Ich freu mich, von Dir zu hören, lieben Gruß aus Lamma,
    Paul
    Â 
    Kurz nachdem er den Brief abgeschickt hatte, rief Christine an, um ihm noch einmal zu sagen, wie unangenehm ihr das Benehmen und die Fragen ihrer Mutter gewesen seien und dass es ihr sehr leidtue; und Paul erklärte ihr noch einmal, dass es dafür überhaupt keinen Anlass gebe.
    Er hatte ihre Mutter weder als unhöflich noch gar als feindselig empfunden. Er hatte eine Frau gesehen, der das Leben viel abverlangt und wenig gegeben hatte, die zu alt war, um sich mit Floskeln aufzuhalten. Eine Mutter, die sich um ihre Tochter und ihren Enkel sorgte, und die ihm in ihrer ehrlichen Schroffheit nicht unsympathisch war. Nur, eine gemeinsame Wohnung wollte er mit ihr auf keinen Fall. In Hang Hau zurückbleiben konnte sie auch nicht, Christine
würde es nie zulassen. Aber mit ihnen unter einem Dach? Das mochte ein paar Wochen gut gehen. Höchstens. Sie müsste in eine kleine Wohnung in der Nähe ziehen oder, noch besser, nach Yung Shue Wan am Fuße des Hügels. Von dort waren es zu ihnen fünfzehn Minuten zu Fuß. Bergauf.
    Mehr als über die Mutter hatte er sich an dem Abend über Christine gewundert. Aus der Frau, die er liebte, der dreiundvierzigjährigen alleinerziehenden Mutter, der ein Reisebüro gehörte und die damit immerhin die Familie ernährte, war in kürzester Zeit eine gute chinesische Tochter geworden, der es schwer fiel, Widerworte zu geben. Er hatte in ihren Augen und in ihrer Mimik genau gesehen, wie peinlich ihr die Fragen gewesen waren, und doch verbot es ihr der Respekt, dagegen zu protestieren oder gar ihrer Mutter den Mund zu verbieten. Nicht in der Öffentlichkeit. Nicht vor jemandem, der noch nicht zur Familie gehörte. Ein Fremder. Nichts anderes war er an dem Abend. Der Verlauf des Gesprächs hatte ihn an eine Selbstverständlichkeit erinnert, die er in den Tagen zuvor noch erfolgreich verdrängt hatte: Mit der Geburt ihres Kindes würde er Teil einer chinesischen Familie werden, ob Christine und er heirateten oder nicht. Er würde sich in ein dicht gesponnenes Netz von Pflichten und Verantwortung begeben, von Regeln und Ritualen, denen man sich nur schwer entziehen konnte. Sein Glück hing davon ab, ob er dazu in der Lage war.
    Zwei Tage später fand er gleich zwei Briefe von Yin-Yin in seinem Postfach.

    Â 
    Betreff: ???
Empfangen: 0:59
    hi paul,
    nur eine schnelle nachricht, bevor ich ins bett gehe. mein bruder ist von seiner parteikonferenz zurück. er hat nichts erreicht. angeblich werden einige

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