Drachenspiele - Roman
machst.
Lass mich wissen, wenn ich Dir noch irgendwie helfen kann. Ich drücke Dir die Daumen und bin gespannt, von Dir zu hören, alles Liebe,
Paul
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Am folgenden Tag hatte er wieder zwei Nachrichten aus Shanghai.
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Betreff: DRINGEND
Empfangen: 0:56
paul,
vielen dank für die korrekturen. ich habe sie übernommen, dein chinesisch ist wirklich erstaunlich. werde heute nach pudong fahren, eine freundin kennt dort ein teehaus, in dem man ohne probleme das internet benutzen kann. bloà keine spuren hinterlassen. ein risiko ist immer dabei. wenn ich es mit der angst bekomme, werde ich an meine mutter und meinen vater denken, das habe ich beim schreiben auch gemacht. bin sehr aufgeregt. was wird passieren, wenn ich auf »senden« drücke? es ist die endgültigkeit, die mich erschreckt. dann war es das. verstehst du mich, oder findest du mich albern? sind wir ein einzelfall, oder gibt es in anderen dörfern ähnliche probleme? wer wird den mut haben, meine geschichte zu kommentieren, in irgendeiner form auf sie zu reagieren? werde ausführlich berichten, sobald sich etwas tut.
denk an mich, wünsch mir glück,
deine, sich so gar nicht wie eine heldin fühlende
yin-yin
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Betreff: GESCHAFFT!!!
Empfangen: 4:17
geschafft! geschafft! geschafft! eben habe ich es abgeschickt: fühle mich befreit. keine angst, nur erleichterung. es geht mir wie meinem vater: ich habe nichts zu verlieren. selbst wenn sie herausfinden, dass ich die autorin bin, was sollen sie mir tun? mich verhaften? mich einsperren? ich bin nichts
als eine kleine, unbedeutende musikstudentin. ich fürchte mich nicht.
auf bald,
yin-yin
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Keine Angst. Nur Erleichterung. Paul freute sich über ihre Zeilen, gleichzeitig beschlich ihn, je länger er darüber nachdachte, nun doch ein mulmiges Gefühl. Yin-Yin hatte sich an die Ãffentlichkeit gewagt, ihr Text stand irgendwo im Netz, jedem Internetbenutzer auf der Welt zugänglich. Von einigen wenigen gelesen und dann vergessen? Oder von einem Internetbenutzer zum nächsten weitergereicht - dann könnte er sich in diesen Stunden in jener Windeseile verbreiten, die diesem unheimlichen Medium mit seiner beispiellosen Beschleunigungskraft eigen ist. Es lag nicht mehr in ihren Händen, und es gab kein Zurück. Was würde geschehen, wenn Chen sich irrte und die Internetpolizei Yin-Yin ausfindig machte? Würden sie in ihr nur eine unbedeutende Musikstudentin sehen? Für solche Zweifel war es jetzt zu spät. Er beglückwünschte Yin-Yin noch einmal zu ihrem Mut und den groÃartigen Text, schrieb, dass sie in seinen Augen ein kleine Heldin war, ob sie sich so fühlte oder nicht, und bat sie, sich zu melden.
Er begann seine tägliche Routine, loggte sich bis zum Abend, entgegen seiner Gewohnheit, gleich mehrfach ein, sein Postfach blieb jedoch leer.
Am nächsten Morgen versuchte er vergeblich, Yin-Yin auf ihrem Mobiltelefon zu erreichen, und hinterlieà eine Nachricht auf ihrer Mailbox.
Drei Stunden später klingelte sein Telefon.
»Wo ist Yin-Yin?«
Paul war nicht sicher, mit wem er sprach. »Sind Sie das, Herr Weidenfeller?«
»Ja. Wo ist sie?«
»Woher soll ich das wissen?«
»Weil Sie in den vergangenen zehn Tagen mehr Zeit mit ihr verbracht haben als ich«, erwiderte Weidenfeller aufgebracht.
»Ich bin seit einer Woche wieder in Hongkong«, entgegnete Paul verärgert. Er hatte keine Lust, sich mit einem keifenden, eifersüchtigen Mann zu streiten. »Seither haben wir nicht miteinander gesprochen.«
»Haben Sie keine Ahnung, wo sie stecken könnte?«
»Vielleicht ist sie zu ihren Eltern gefahren?«
»Nein, da habe ich schon angerufen.« Weidenfeller klang allmählich mehr besorgt als erbost.
»Seit wann suchen Sie sie?«
»Wir waren gestern Abend verabredet. Als ich sie abholen wollte, war sie nicht da. Ihre Mitbewohnerin hatte sie am Morgen gesehen, ist dann aus dem Haus gegangen, und als sie wiederkam, war Yin-Yin fort. Sie hat Laptop und Handy mitgenommen, und keiner weiÃ, wo sie steckt. Ich war sogar schon im Konservatorium. Bei ihrem Bruder hat sie sich seit Tagen nicht gemeldet.« Er schwieg einen Moment und fügte dann fast bittend hinzu: »Haben Sie vielleicht eine Vermutung?«
»Nein«, antwortete Paul mit einem unguten Gefühl.
»Wann haben Sie zuletzt von ihr gehört, sagten Sie?«
»Als wir uns in Shanghai
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