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Drachenspiele - Roman

Titel: Drachenspiele - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blessing <Deutschland>
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sauberes und ordentliches Haus gesehen; der Boden war gewischt, selbst in den Regalen lag kein Staub.
    Aus dem Fenster blickte sie auf einen blühenden Garten.
    Â»Schön hast du es hier. Ein kleines Paradies.«
    Â»Danke. Möchtest du etwas trinken?«
    Â»Gern. Außerdem bekomme ich Hunger.«
    In der Küche schälte sie Zwiebeln und Knoblauch, dünstete sie in Olivenöl, fügte drei zerkleinerte Chilischoten hinzu. Paul machte den Wein auf.
    Er reichte ihr ein Glas, sie stießen an, ohne etwas zu sagen.
    Yin-Yin kippte die Tomaten in den Topf, drehte die Gasflamme höher und rührte um. Schnell bildeten sich große Blasen auf der roten Sauce, die mit einem dumpfen Plopp spritzend zerplatzten und ringsherum rote Spuren hinterließen.
    Paul saß am Tresen und beobachtete sie.
    Â»Entschuldige, ich saue deinen Herd ein.«
    Â»Das macht nichts.«
    Sie rührte weiter, wusch zwischendurch die Basilikumblätter und schnitt sie in kleine Streifen.
    Â»Du bist dünn geworden«, sagte er.
    Â»Schlimm?«
    Â»Kommt darauf an. Sind es nur Kilos, die du verloren hast?«

    Eine seltsame Frage, die sie sich bisher nicht gestellt hatte. »Was sonst?«
    Â»Ich weiß es nicht«, erwiderte er. »Ich bin nicht fünf Wochen gefangengehalten worden.«
    Â»Nein, das bist du nicht«, antwortete sie gereizt. Es war ein schmaler Grat, auf dem sie wanderten. Yin-Yin wollte sich von ihm nicht ausfragen lassen, auch wenn er es geschickter anstellte als ihr Bruder. Was hatte sie in dem kleinen Raum verloren, abgesehen von Körpergewicht? Vertrauen? Wahrscheinlich, aber sie wusste nicht, in wen oder was. Eine Unbekümmertheit, für die ihr Vater sie manchmal gescholten hatte? Möglich. Ihren Glauben, dass sich die Dinge schon zum Guten wenden würden? Den hatte ihr bereits die Erkrankung ihrer Mutter geraubt.
    Â»Vielleicht habe ich ja auch zugenommen?«
    Paul schaute sie ernst an. »Zugenommen? In welchem Sinn?«
    Â»Nicht körperlich«, sagte sie in einem Ton, der deutlich machte, dass sie darüber nicht länger reden wollte.
    Er trank nachdenklich von seinem Wein. »Wie lange bleibst du in New York?«, fragte er, um das Thema zu wechseln.
    Â»Mal sehen. Zwei, drei Wochen, vielleicht auch länger. Ich glaube, ich würde gern an der Musikschule studieren.«
    Â»Was suchst du dort?«
    Â»Ich suche nichts. Ich besuche eine Freundin.« Drückte sie sich missverständlich aus, oder versuchte er, sie zu provozieren? »Was stellst du für komische Fragen?«
    Â»Entschuldige. Ich wollte dich nicht verärgern. Ich, ich … eigentlich möchte ich nur wissen, wie es dir geht.«
    Â»Das siehst du doch.« Wie sollte sie für ihn Antworten auf Fragen haben, für die sie selbst noch keine besaß?

    Yin-Yin stellte die Gasflamme kleiner, damit die Sauce nicht anbrannte.
    Â»Ich habe etwas für dich«, sagte er, stand auf und verschwand im ersten Stock. Als er zurückkehrte, hielt er einen leicht zerknitterten Briefumschlag in der Hand. »Für Wu Yin-Yin« stand darauf. Die Handschrift ihres Vaters. Er war zugeklebt und mit einem roten Siegel verschlossen.
    Â»Woher hast du den?«
    Â»Er lag in der Wohnung deiner Eltern auf dem Tisch, unter dem Buch.«
    Ungläubig starrte sie auf das Kuvert. »Mein Bruder hat behauptet, es gäbe keinen Abschiedsbrief.«
    Â»Ich war eine Weile vor ihm im Haus und habe ihn eingesteckt, ohne ihm etwas zu sagen«, erklärte Paul ein wenig verlegen. »Er ist an dich adressiert. Es tut mir leid, wenn dir das nicht recht war.«
    Sie nahm den Brief, setzte sich, zögerte, zweifelte, ob sie die Kraft besaß. Ihr linkes Bein zitterte heftig - eine Folge der Haft, Gliedmaßen begannen plötzlich unkontrolliert zu zucken.
    Yin-Yin öffnete mit pochendem Herzen den Umschlag.
    Die innere Beteiligung auf das zum Überleben notwendige Minimum reduzieren.
    Â 
    Mein geliebtes Xiao Bai Tu!
    Â 
    Sie ließ das Blatt sinken. Xiao Bai Tu. Kleines, weißes Häschen. Der Kosename ihrer Kindheit. Häschen, dachte sie, gibt es nicht mehr. Häschen ist tot.
    Woran denken wir in unseren letzten Stunden? An unsere Kinder, woran sonst? Ihr seid alles, was von uns bleiben
wird. Wir gehen - ihr lebt weiter, mit euch haben wir den Tod überlistet. Die Vorstellung, dass wir dich und deinen Bruder allein zurücklassen, ließ mich für einen Moment

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