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Drachenspiele - Roman

Titel: Drachenspiele - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blessing <Deutschland>
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gehabt.«
    Sie überquerten den sandigen Platz, gingen ein Stück die Allee hinunter, bogen dann in einen Feldweg, der auf eine Bergkuppe führte. Die Autobahn schnitt das Tal in zwei Teile, die Felder sahen verwahrlost aus; vermutlich hatten die Bauern längst aufgegeben, sie zu bewirtschaften. In der Ferne erkannten sie Fabriken, Siedlungen, eine Bahntrasse. Es war so heiß, dass sie sich in den Schatten einer Pinie stellten.
    Â»Diesen Ausblick wollte ich euch zeigen«, sagte Yin-Yin. »Das war einmal unser Spielplatz. Als wir klein waren, gab es viele Kinder im Dorf, sogar eine Schule. Wir haben jeden Tag draußen gespielt. In den Feldern, im Wald, in den Tümpeln. Schwimmen habe ich in einem Weiher voller Fische auf der anderen Seite des Tals gelernt. Dann kamen die ersten Fabriken. Die Autobahn quer durch das Tal. Die Jungen sind alle in die Städte gezogen, nach Yiwu, Shanghai, Xiamen, Shenzhen.
Ihr seht, wer zurückgeblieben ist. In ein paar Jahren ist alles weg. Das ganze Dorf. Die Pläne sind fertig.«
    Â»Das ganze Dorf?«, fragte Christine erstaunt.
    Â»Ja. Wer dann von den Alten noch am Leben ist, bekommt eine Wohnung am Stadtrand von Yiwu zugewiesen. Ich habe vor drei Wochen mit meinem Bruder an dieser Stelle hier gestanden. Er sagt, das sei auch gut so. Wir hätten unsere Erinnerungen, und um das Dorf sei es nicht schade. Alte, marode Häuser, die Wohnungen ohne Klimaanlage, im Sommer zu heiß, im Winter zu feucht und kalt. In der neuen Siedlung sind sie klimatisiert, in der Nähe gibt es Ärzte und Einkaufsläden. Der Umzug sei ein gutes Beispiel für Chinas Fortschritt. Wahrscheinlich hat er Recht.«
    Â»Wie heißt dein Bruder eigentlich?«
    Â»Wu Xiao Hu. Wir nennen ihn Xiao Hu, Kleiner Tiger. Er ist vier Jahre älter als ich, 1974, im Jahr des Tigers geboren.«
    Â»Versteht ihr euch?«
    Â»Ja«, antwortete Yin-Yin. »Wir sind sehr unterschiedlich, wer uns kennt, glaubt nicht, dass wir Geschwister sind.«
    Â»Inwiefern ist er anders?«, wollte Paul wissen.
    Â»Er war immer der beste Schüler. Sehr fleißig, sehr ehrgeizig. Ich war langsam und verträumt. Wenn wir im Fluss spielten, hat er Wasser gestaut und Dämme gebaut, ich habe Fische beobachtet. Ich hasse Streit, er geht ihm nicht aus dem Weg. Mich interessiert Politik nicht, ihn sehr. Ich wollte, seit ich denken kann, Musikerin werden, er Mitglied in der KP Chinas. Wir haben es beide geschafft. Allerdings muss ich zugeben, dass ich als Musikerin nicht so erfolgreich bin wie er in der Partei. Er wirft mir vor, nicht ehrgeizig genug zu sein. Vielleicht stimmt es. Aber ich respektiere ihn sehr. Er ist ein guter Bruder und ein guter Mensch.«
    Â»Warum ist er heute nicht hier?«

    Yin-Yin blickte auf den Boden, schob mit einer Fußspitze etwas Erde zu einem Häuflein zusammen. »Papa und er verstehen sich nicht so gut«, antwortete sie leise.
    Â»Warum nicht?«, wunderte sich Christine.
    Â»Ich weiß es nicht genau. Früher war das anders. Früher war ich eifersüchtig auf Xiao Hu. Er war der Erstgeborene! Der Sohn. Papa hat viel mit ihm gemacht, sich sogar die Zeit genommen, ihm bei den Schularbeiten zu helfen. Mit mir hat er das nicht ein einziges Mal getan. Er sollte der Beste in der Klasse sein und wurde es auch. Papa war immer sehr stolz auf ihn. Mein Kleiner Tiger wird einmal ein ganz Großer, hat er oft gesagt.«
    Â»Wann hat sich das geändert?«
    Â»Im vergangenen Jahr, praktisch über Nacht. Es gab ein großes Zerwürfnis zwischen den beiden. Sie sprachen viele Monate nicht miteinander, Xiao Hu weigerte sich, unsere Eltern zu besuchen. Mama war darüber todunglücklich. Sie versuchte zu vermitteln, und irgendwann redeten sie wenigstens wieder miteinander. Aber es ist nicht mehr wie früher. Mein Bruder ist sehr hart mit Papa. Umgekehrt habe ich das Gefühl, dass Kleiner Tiger Papa unheimlich geworden ist. Als würde er ihn fürchten.«
    Â»Warum sollte er Angst vor ihm haben? Weshalb haben sie sich überhaupt gestritten?«, wollte Christine wissen.
    Â»Ich habe keine Ahnung. Ich war in Shanghai zu der Zeit, und sie wollen mir beide nicht sagen, worum es ging.«
    Â»Sie haben nicht einmal Andeutungen gemacht?«
    Â»Nein. Zu allem Überfluss haben sie sich vor zwei Wochen noch wegen Mama in die Haare bekommen. Mein Bruder ist auf Seiten der Ärzte. Er denkt, es hat keinen Sinn, sich in ihrem

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