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Drachenspiele - Roman

Titel: Drachenspiele - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blessing <Deutschland>
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Kopfschmerzen, Schwindelanfällen und einem Gefühl der totalen Erschöpfung. Sie schlief beim Fernsehen ein. Morgens musste Tita Ness, das philippinische Hausmädchen, sie wecken, weil sie den Wecker zwar hörte, gleich darauf aber wieder fest einschlief. Zweimal war sie im Bett geblieben und erst am späten Vormittag ins Büro gekommen. Heute Nachmittag wollte sie zum Arzt gehen. Zum ersten Mal seit Jahren. Sie war kein Mensch, der sich Sorgen um Gesundheit machte, weder um ihre eigene noch um die ihres Sohnes oder ihrer Mutter. Im Gegensatz zu Paul, der selbst bei einem winzigen blauen Fleck unruhig wurde, der jede Blässe in ihrem Gesicht registrierte und ihre wenigen Muttermale regelmäßig voller Sorgfalt inspizierte. Das verstehst du nicht, erklärte er unwirsch, wenn sie sich darüber amüsierte. Christine war der Meinung, dass kein Mensch und keine Maschine das Schicksal umstimmen konnten: Ein Leben, das ausgelebt war, war ausgelebt. Zeit abgelaufen. Ende. Das mochte traurig sein, schmerzhaft, ungerecht. Was auch immer, zu ändern war es nicht. Deshalb
ging sie, zu Pauls Empörung, auch nur unregelmäßig und ohne große innere Überzeugung zu den empfohlenen medizinischen Routineuntersuchungen. Fatalisten sind keine guten Vorsorger.
    Sie wünschte, Paul wäre jetzt bei ihr. Warum saß er noch immer in Shanghai? Waren es wirklich nur seine Hilfsbereitschaft und sein Mitgefühl für ihren Bruder, oder gab es noch andere Gründe? Gestern hatte er am Telefon sehr geheimnisvoll getan und versprochen, ihr heute mehr zu erzählen. Nun konnte sie ihn auf seinem Mobiltelefon nicht erreichen und musste warten, bis er sie am Abend vom Hotel aus anrufen würde.
    Aus ihrem Magen stieg ein ekelhaft säuerlicher Geschmack auf, sie putzte sich gründlich die Zähne. Die Praktikantin räumte einen unter Katalogen begrabenen Sessel frei und goss einen Kräutertee für sie auf, Christine setzte sich dankbar und schloss für einen Moment die Augen. Waren die Reise nach Shanghai und das Wiedersehen mit ihrem Bruder zu viel für sie gewesen? Hatte sie sich in China einen Virus eingefangen? Oder deuteten die Symptome auf eine ernstere Erkrankung hin? Die Schwester einer Freundin war im vergangenen Jahr an einem Gehirntumor gestorben und hatte, wenn Christine sich recht erinnerte, zu Beginn auch über Kopfschmerzen und Übelkeit geklagt. Kein Wort davon zu Paul, dachte sie, nicht einmal eine Andeutung. Dann klingelte das Telefon, einer ihrer letzten Großkunden, der sie dringend sprechen musste, und sie war froh über die Ablenkung.
    Â 
    Am Abend saß sie, wie seit Monaten fast jeden Tag, den sie nicht bei Paul verbrachte, mit ihrer Mutter vor dem Fernseher. Die war vor einem halben Jahr in eine kleine Wohnung drei Stockwerke unter ihnen gezogen und ging seitdem
bei ihnen ein und aus. Josh war in seinem Zimmer mit einem neuen Computerspiel beschäftigt, Tita Ness bügelte im Schlafzimmer, auf Pearl TV lief eine Soap-Opera aus der Ming-Dynastie. Sie aßen gemeinsam und blickten dabei stumm auf den Bildschirm. Es konnte passieren, dass sie an einem Abend wie diesem nicht mehr als ein paar Sätze wechselten. Ihre Mutter fragte nichts, und Christine bezweifelte, ob sie lange zuhörte, wenn Josh, Tita oder sie ihr etwas erzählten. Christine stocherte ohne Appetit in ihrer Schale Reis, beobachtete ihre Mutter aus den Augenwinkeln und fragte sich, wie sie für sie sorgen sollte, falls die Geschäfte bei World Wide Travel Inc. weiter so schlecht liefen. Die monatliche Zahlung aus der Lebensversicherung reichte nicht einmal für die Miete, eine Rente bekam sie nicht, Christine musste für den Rest aufkommen. Vermutlich blieb ihnen dann keine andere Wahl, als wieder die Wohnung zu teilen, sie müsste Tita Ness entlassen und ihre Mutter bitten, sich mehr um Josh und den Haushalt zu kümmern. Eine Vorstellung, die ihr zwar nicht behagte, die sie aber auch nicht sonderlich aufregte. Kinder waren verpflichtet, sich um ihre Eltern zu kümmern, ob es ihnen passte oder nicht. Darüber zu lamentieren war Zeitvergeudung. Sie überlegte, ob ein Umzug nach Lamma eine Alternative wäre. Finanziell mit Sicherheit die beste Lösung, aber egal, wie bewandert Paul mit der chinesischen Sprache, Kultur und Mentalität auch war, sie fürchtete, ein Leben mit ihr, Josh und ihrer Mutter unter einem Dach würde selbst seine

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