Drachenspiele - Roman
Firma eine Entschädigung zahlen.«
»W-w-wie viel?«
»Viele, viele Millionen. Fast hundert Millionen amerikanische Dollar, wenn ich mich nicht täusche.«
Der Vater schaute seine Tochter erwartungsvoll an.
Ihr war nicht nach Reden zumute. Sie wollte zurück nach Shanghai. Sie wollte für das Vorspielen bei den Symphonikern üben.
Da Long stand auf. »Dann suche ich mir einen Anwalt.«
Yin-Yin warf Paul einen erschrockenen Blick zu: »Du willst was?«
»Ich werde sie verklagen. Wenn sie schuld an Mamas Krankheit sind, gehören sie betraft.«
»Aber Papa, wie stellst du dir das vor?«
»Ich werde einen Rechtsanwalt finden, der mich vertritt.«
»Xiao Hu sagt, das ist unmöglich. Niemand wird diesen Fall annehmen. Viel zu gefährlich.«
»Was weià dein Bruder schon davon«, widersprach er wütend.
»Papa!«, protestierte sie. »Er ist Jurist.«
»Das ist mir egal. Ich finde einen.«
»Sanlitun ist ein groÃer Konzern. Gegen die können wir nichts ausrichten«, wiederholte sie die Worte ihres Bruders.
»Vielleicht nicht«, murmelte er kaum verständlich. »Aber wir müssen es versuchen. Die werden sich wundern.«
»Kennst du einen Rechtsanwalt in Yiwu?«, raunte Paul ihr zu.
»Woher soll ich einen Anwalt kennen?«, fragte sie unwirsch zurück. »Ich kenne einen Journalisten, der im Büro von Peopleâs Daily in Yiwu arbeitet.«
»Woher?«
»Ein Freund von mir. Wir waren in derselben Klasse.«
»Vielleicht kann er uns helfen?«
»Wobei?«
Paul überging ihre Frage. »Kannst du ihn fragen, ob wir ihn heute Abend zum Essen treffen können?«
Yin-Yin zögerte. Sie hatte keine Ahnung, worauf Paul Leibovitz hinauswollte. Wie und wobei sollte ihnen ein kleiner Lokalreporter helfen können?
»Komm schon.« Es klang wie eine Bitte.
»Wobei soll er uns helfen?«, fragte sie misstrauisch.
»Einen Anwalt zu finden. Wenn du für eure Mutter Schmerzensgeld haben möchtest, geht das nur mit einem Anwalt. Mit einem Prozess drohen , ihr müsst ihn nicht führen . Sonst nimmt dich Sanlitun gar nicht ernst.«
Sie zögerte lange.
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Sie trafen Wang Cai Hua in einem einfachen Nudelsuppenund Dumpling-Restaurant in der Nähe seines Büros. Er hatte Spätschicht und nicht viel Zeit, sie waren die einzigen Gäste. Er war groà und schlank, trug ein weiÃes Hemd und Jeans, in
seinem schwarzen Haar leuchtete eine goldene Strähne. Yin-Yin freute sich, ihn zu sehen; er war einer der besten Schüler und zugleich der Klassenclown gewesen, der weder Lehrer noch Zensuren sonderlich ernst genommen und sie oft zum Lachen gebracht hatte. Viele Unterrichtsstunden waren erst durch seine Witze einigermaÃen erträglich geworden. Sie hatte ihn bewundert, weil er der einzige Mitschüler war, der es hin und wieder wagte, sich Anordnungen zu widersetzen, der, so vermutete sie, selbst im hintersten Winkel seines Herzens keine Angst vor Autoritäten kannte.
»Der ist zu alt für dich«, sagte er halblaut zur BegrüÃung und deutete mit einem Kopfnicken auf Paul. Offensichtlich glaubte er, dass der Westler an ihrer Seite kein Mandarin verstand.
»Es ist egal, ob ein Kater jung ist oder alt. Hauptsache, er fängt Mäuse«, antwortete Paul. »Altes chinesisches Sprichwort.«
Wang blickte ihn verdutzt an, bevor er so heftig lachte, dass er sich fast verschluckte. Auch Yin-Yin lächelte erleichtert; eine bessere Art, sich bei ihm Respekt und Vertrauen zu verdienen, gab es nicht.
Sie bestellten am Tresen drei Suppen und zwei Bambuskörbe mit gefüllten Teigtaschen und setzten sich.
»Wie gehtâs dir?«, erkundigte sie sich.
»Prima«, antwortete er mit diesem verschmitzten Lächeln im Gesicht, bei dem sie schon früher nie gewusst hatte, ob er etwas ernst meinte oder nicht. »Ich habe vergangene Woche alles Geld, das ich in den zwölf Monaten davor an der Börse gewonnen hatte, wieder verloren.«
»Wie hast du das denn gemacht?«, fragte Yin-Yin, die immer noch vermutete, er nähme sie auf den Arm.
»Ich war in Macau.«
»Du spielst?«
»Tun wir doch alle. Hast du keine Aktien? Das ganze Land ist im Spielrausch«, sagte er und lachte. »Aber erzähl, wie geht es dir?«
»Nicht so gut«, erwiderte Yin-Yin.
»Auch Geld verloren oder Liebeskummer?«, fragte Wang
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