Drachenspiele - Roman
Sie?«
Auch diese Frage schien er erwartet zu haben. »Nein«, antwortete er gelassen.
»Gar nicht?«, fragte sie misstrauisch.
»Abgesehen natürlich von kleinen Einsätzen bei Pferderennen in Happy Valley oder Sha Tin. Das würde ich jedoch nicht als Spielen bezeichnen.«
Ihre Mutter nickte. Dort platzierte auch sie ihre Wetten; dass jemand das nicht tat, hätte sie unglaubwürdig gefunden.
»Was arbeiten Sie?«
»Ich forsche«, erwiderte er.
»Was?«
»Grundlagenforschung.«
Ein fragender Blick zur Tochter.
Christine hatte keine Ahnung, worauf Paul hinauswollte. »Grundlagenforschung, Mama«, wiederholte sie in einem Ton, als müssten damit alle Fragen beantwortet sein.
»Und damit verdient man Geld?«, fragte die Mutter, noch immer voller Zweifel.
Paul nickte beruhigend. »Machen Sie sich bitte keine Gedanken. Ich werde für das Wohl der Familie sorgen.«
Wu Jie musterte ihn nun gründlich und schweigend. »Sie sind alt und wollen Vater werden.«
»Man kann nicht erwarten, dass beide Enden des Zuckerrohrs süà sind.«
Christine überlegte, wie sie Paul zu verstehen geben könnte, dass er endlich mit den Sprichwörtern aufhören sollte; sie suchte unter dem Tisch nach seinem Knie, aber er saà zu weit weg. Zu ihrem Erstaunen flog zum ersten Mal ein Lächeln über das Gesicht ihrer Mutter.
»Ihr Chinesisch ist bemerkenswert. Mit unseren Lebensweisheiten kennen Sie sich gut aus. Mit unserem Essen auch?«
»Er ist ein ausgezeichneter Koch«, warf Christine ein in der Hoffnung, das Thema zu wechseln.
»Ein wenig«, antwortete Paul bescheiden; er hatte die Anspielung verstanden und nahm eine Speisekarte zur Hand. »Ist es Ihnen recht, wenn ich etwas für uns aussuche?«
Die Mutter deutete ein Nicken an.
Paul beriet sich mit der Kellnerin, prüfte sorgfältig die Tageskarte und bestellte gedämpften Fisch, gebratenes Gemüse mit sonnengetrockneten Krabben aus Tai-O, Küchlein aus frischen Babyaustern, Tofu und HühnerfüÃe.
Wu Jie wackelte zustimmend mit dem Kopf.
»Wann heiraten Sie meine Tochter?«
»Aber Mama! Jetzt reicht es. Ich weià gar nicht â¦Â« Sie erntete lediglich eine unwirsche Handbewegung. Christine überlegte kurz, ob sie in dieser Situation einen Streit beginnen sollte, doch ihre Mutter würde das nicht verstehen. Sie saÃen hier nicht, um einen schönen, unterhaltsamen Abend zu verbringen, Paul wurde geprüft, ob er als zukünftiger Schwiegersohn in Frage kam, und dabei war Christine für ihre Mutter eine Statistin. Natürlich würde sie ihre eigene Entscheidung treffen, sie würde Pauls Kind bekommen und mit ihm zusammenleben, auch wenn Mama dagegen war. Aber ihre Billigung würde das Leben vereinfachen. Solange ihre Mutter lebte, war Christine die Tochter, und zwar mit allen Verpflichtungen und Einschränkungen, die zu dieser Rolle gehörten.
»Sobald ich mit einem Astrologen gesprochen habe und er mir ein glücksbringendes Datum nennen konnte«, unterbrach Paul ihre Gedanken. Christine warf ihm einen dankbaren Blick zu, den er mit seinem wunderbar verschmitzten Lächeln erwiderte.
»Sie glauben an chinesische Astrologie?«, fragte Wu Jie überrascht.
»Manchmal. Aber ich dachte, schaden wird es nicht.«
Die Mutter lachte. Das war die Art von Pragmatismus, die ihr gefiel. Wir Chinesen, pflegte sie zu sagen, haben vier Religionen: Konfuzianismus. Daoismus. Buddhismus und Pragmatismus. Letztere war ihr die liebste.
»Was machen Ihre Eltern?«
»Sie sind beide leider schon verstorben.«
»Wie oft besuchen Sie ihre Gräber?«
»Bedauerlicherweise befinden die sich in New York. Ich habe jedoch selbstverständlich einen kleinen Altar in meinem Haus. Vor den lege ich jeden Tag frische Bananen und Ãpfel, das Lieblingsobst meiner Eltern. Morgens entzünde ich ein paar Räucherkerzen.«
»Gut, gut«, murmelte sie zustimmend. »Hatten Sie ein gutes Verhältnis?«
»Ausgezeichnet. Ich liebte sie sehr.«
»Haben Sie Geschwister?«
»Nein.«
»Nichten? Neffen? Cousins? Cousinen?«
Paul schüttelte den Kopf.
»Onkel? Tanten?«, fragte Wu Jie und starrte ihn ungläubig an.
»Nein, zu meinem groÃen Bedauern nicht.«
Christine zuckte noch einmal zusammen. Ein Mann ohne Familie. Ein einsamer Mensch. In den Augen ihrer Mutter konnte es
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