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Drachenspiele - Roman

Titel: Drachenspiele - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blessing <Deutschland>
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fragte sich, wie sie hatte zweifeln können.
    Â 
    Als sie weitergingen, fing Paul an zu erzählen. Von den Stunden, in denen er mit Justin um den Peak gewandert war. Wie sie sich vorgestellt hatten, fliegen zu können und als Vögel den Passanten auf die Köpfe zu scheißen. Von der Wissbegierde seines Sohnes, der so oft neben ihm auf einer Bank gelegen und Fragen gestellt hatte, den Kopf in Pauls Schoß.

    Â»Einmal wollte er wissen, ob die Welt früher wirklich schwarzweiß war.«
    Sie lächelte. »Wie kam er denn darauf?«
    Â»Wir hatten alte Charlie-Chaplin-Filme gesehen. Die waren natürlich nicht in Farbe, und er hielt sie für ein Abbild der Welt. Ein anderes Mal löcherte er mich mit der Frage, ob sich Erwachsene auch manchmal grundlos freuen, so wie die Kinder, oder ob sie immer einen Anlass brauchen?«
    Â»Was hast du geantwortet?«
    Â»Ich wisse es nicht. Ich sei auf der Suche danach.«
    Â»Wonach?«
    Â»Grundloser Freude.«
    Â»Und? Hast du sie gefunden?«
    Er wiegte den Kopf hin und her. »Freude schon. Aber grundlose?« Stirnrunzeln. »Ich fürchte, so weit bin ich noch nicht.«
    Christine begriff, dass ihr Kind nicht nur mit Josh als großem Bruder aufwachsen würde. Justin würde Teil ihrer Familie sein, so wie er in den vergangenen eineinhalb Jahren Teil ihrer Beziehung war. Er gehörte dazu, so wie die Toten immer dazugehören, weil sie ein Teil von uns sind. Manche mehr, andere weniger.
    Â»Meister Wong hat es gewusst«, sagte Paul plötzlich in einem seltsamen Ton. Als spräche er mit sich selber.
    Â»Was?«
    Â»Dass du schwanger wirst.«
    Â»Davon hast du mir nichts erzählt!«, sagte sie überrascht.
    Â»Nein?«
    Woher kam die Verlegenheit in seiner Stimme? »Nein, hast du nicht. Was genau hat er prophezeit?«, wollte sie wissen.
    Â»Er hat gesagt: Ich werde Leben geben .«
    Â»Du wirst Leben geben?«

    Â»Ja.«
    Â»Noch etwas?«
    Â»Nein.«
    Â 
    Drei Tage später trafen sich Paul und ihre Mutter zum ersten Mal. Christine hatte ihr Glück teilen wollen und ihr unvorsichtigerweise von der Schwangerschaft erzählt, und sie hatte darauf bestanden, den Vater des Kindes kennen zu lernen. Umgehend. Weil die Mutter sich weigerte, dafür in die Stadt zu kommen, verabredeten sie sich im House of Supreme Harmony, einem chinesischen Restaurant im Einkaufszentrum von Hang Hau.
    Christine war den ganzen Tag über nervös, sie musste an das Abendessen denken, bei dem sie ihren Exmann ihrer Mutter vorgestellt hatte. Es war eine grauenvolle zweistündige Tortur gewesen. Die Mutter mochte den zukünftigen Schwiegersohn vom ersten Augenblick an nicht. Sie befragte ihn wie in einem Kreuzverhör, er antwortete höflich, bemühte sich, einen guten Eindruck zu machen, ihre Sympathie oder wenigstens ihren Respekt zu gewinnen, und traf nur auf kalte Ablehnung. Am unangenehmsten aber war Christine ihr eigenes Verhalten in Erinnerung geblieben. Sie hatte nicht gewagt, ihrer Mutter zu widersprechen. Immer stiller und schweigsamer war sie im Laufe des Gesprächs geworden, zur kleinen Tochter geschrumpft, über die gesprochen wurde wie über ein minderjähriges Kind. So einen Abend wollte sie nicht wieder erleben.
    Die Herkunft des Vaters ihres zweiten Enkels hatte ihre Mutter mit einem missbilligenden Blick zur Kenntnis genommen. Sie hatte nicht grundsätzlich etwas gegen Westler, das wusste Christine, war aber der Ansicht, dass Ausländer, egal woher sie stammten, chinesisches Denken nicht verstehen
konnten, und genauso wenig die Kultur, die Sitten und Gebräuche; dass man sich in vielen Fragen fundamental unterschied und deshalb Distanz wahren sollte.
    Das House of Supreme Harmony war das Lieblingsrestaurant ihrer Mutter; es hatte die Ausmaße eines halben Fußballfeldes, rote Teppiche, rot lackierte Wände, an denen Karpfen aus Stoff hingen, vergoldete Kronleuchter, voll besetzte, große runde Tische, an denen Familien laut durcheinander redeten. Der Fußboden war übersät mit Essensflecken. Ihre Mutter war der Meinung, je voller und lauter ein Lokal war, je schmutziger Teppiche und Tischdecken, desto besser die Küche, und Christine hatte längst aufgegeben, sie von etwas anderem überzeugen zu wollen. Normalerweise hörte sie den Lärm gar nicht oder ertrug ihn geduldig, doch heute Abend verstärkte der Krach ihre Aufregung. Paul hatte

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