Drachensturm
riss es hoch, presste es an sich, um es zu schützen, und rannte weiter. Er hielt es fest, verteidigte es im dichten Gedränge der verängstigten Menschen, die kopflos durcheinanderrannten, während hinter ihnen die Stimme des hässlichen Fremden wieder den Befehl brüllte: » Fuego!«
Wieder bellte Hernando Pizarro einen Feuerbefehl, und wieder krachten die Arkebusen.
» Diese Narren, warum verstecken sie sich nicht?«, knurrte Nabu und flog ein wenig höher.
Mila war dem Wind dankbar, der die Rufe und Schreie des Elends dort unten wenigstens teilweise verwehte. Aber nicht alle Geräusche dämpfte er weit genug, und das Knallen der Büchsen ging ihr durch Mark und Bein.
» Warum tun sie das?«, fragte sie und fühlte sich schuldig, denn Pizarro hatte behauptet, es geschehe aus Vergeltung für die Angriffe auf Don Rodrigo – und auf sie.
» Befehl von Pizarro«, antwortete Dietmar, der hinter ihr saß und vielleicht dachte, sie hätte eine Antwort erwartet.
» Ich sagte ja, die vergangenen Tage werden dir noch ruhig und friedlich erscheinen, Prinzessin«, meinte Nabu.
Sie hörte das zischende Geräusch eines Drachen, der Feuer spie. Die Schreie unten wurden lauter.
» Nergal!«, dröhnte Marduks Stimme von oben. » Erschrecken sollst du sie, nicht die Stadt in Brand setzen!«
» Wir passen schon auf«, gab die heisere Stimme des Tresslers übellaunig Antwort.
» Achtung«, rief Nabu und schwenkte scharf zur Seite.
» Was tust du?«, fragte Mila und klammerte sich an das Geschirr.
Bei der plötzlichen Bewegung war ihr wieder der Helm verrutscht. Er war etwas zu groß, aber der beste, den sie in der kurzen Zeit hatte auftreiben können. Sie würde sich einen passenderen suchen oder die Schmiede bitten, ihn anzupassen, wenn das erst einmal vorbei war.
» Dort vor uns liegt eine Festung, und es sieht aus, als sei sie von Kriegern besetzt. Hörst du ihre Pfeile nicht?«
» Bei diesem Lärm?«, rief Mila zurück. Aber dann klang es wie Hagel, der gegen ein Fenster prasselte, als ein ganzer Schauer von Pfeilen auf Nabus Schuppen traf.
» Er hat Recht, Comtesse, sie schießen auf uns«, rief Dietmar, der offenbar dachte, sie hätte es nicht bemerkt.
» Das sollten wir ihnen abgewöhnen«, brummte Nabu und flog eine enge Kurve.
» Nein, Nabu, das war nicht unser Befehl«, rief Mila laut.
Der Drache brummte, flog eine weitere Kurve und sagte dann: » Du hast Recht, ihre Waffen sind lächerlich.«
Unten donnerten wieder die Büchsen. Dann ertönte lautes Gebrüll in unmittelbarer Nähe.
» Behemoth«, erklärte Nabu unnötigerweise. » Er ist nicht so zurückhaltend wie ich.«
Kurz darauf hörte Mila seinen Feuerstoß und die Schreie der Männer, die der große Drache offenbar auf einer Mauer erwischt hatte, dann ertönten ein unsagbar lautes Krachen und ein Drachenruf, der halb wütend, halb erschrocken klang.
» Das Tor ist mitsamt der Mauer unter ihm zusammengebrochen. Behemoth hat Glück, dass er nicht zu Schaden kam«, berichtete Nabu. » Trotzdem sollten sich diese Indios um Himmels willen ergeben, solange sie noch können.«
Und wieder hörte Mila die laute Stimme von Hernando Pizarro, der unten seinen Männern den Feuerbefehl erteilte. Sie hätte sich gerne die Ohren zugehalten, weil sie das Krachen der Arkebusen und die Schreie der sterbenden Indios nicht hören wollte, aber sie wusste, dass das nicht ging – sie war ein Ritter des Drachenordens, und sie musste die Schrecken der Schlacht tapfer ertragen.
Kemaq rannte immer noch. Das Kind – es mochte vier oder fünf Jahre alt sein – hing schwer in seinem Arm. Es weinte nicht mehr, und das fand er beunruhigend. Plötzlich fragte er sich, ob es überhaupt noch lebte, und er blickte ihm ins Gesicht. Ein Paar große braune Augen schauten verängstigt zurück. Es war ein Mädchen. Er drückte es an sich und redete ihm beruhigend zu. Vielleicht wollte er sich auch nur selbst beruhigen. Das Verhängnis war noch schlimmer über die Stadt hereingebrochen als zuvor.
Er bog um eine Ecke und holte tief Luft, dann wagte er einen Blick zurück. Irgendwo brannte es, und der Seewind trieb Rauch durch die Gassen. Die Straße hinter ihm war beinahe verlassen. Dann sah er zwei Männer die Straße entlanghasten. Sie wurden verfolgt, aber nicht von einem Drachen und auch nicht von einem Krieger, sondern von einem dieser großen vierbeinigen Tiere, die die Fremden am Morgen an den Strand gebracht hatten. Es trug einen der Fremden und schnaubte laut, als es den
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