Drachensturm
vergiss das nicht. Zieh deine Schuhe aus.«
» Meine Schuhe, Herr?«
» Es ist ein Zeichen deiner Demut. Beeil dich, er wartet vielleicht schon.«
Kemaq tat, wie ihm geheißen, und stand bald mit den Sandalen in der Hand da, ziemlich unschlüssig, was er damit anfangen sollte.
» Binde sie zusammen und lege sie dir auf die Schulter, als würdest du eine Last tragen, auch das ist ein Zeichen deiner Demut, Chaski.«
Verwirrt folgte Kemaq auch dieser Anweisung, und er bemerkte erstaunt, dass sein Hände zu sehr zitterten, um einen Knoten zu binden. Der Hohepriester sah ihm zu und riss ihm schließlich ungeduldig die Schuhe aus der Hand, um es selbst zu tun.
» Es scheint, als habe Rumi-Nahui Atahualpa von dir erzählt. Deshalb will er dich sehen. Ich denke, auch er will den Segen nutzen, der auf dir ruht.«
» Aber was soll ich sagen, Herr?«, fragte Kemaq, nachdem ihm der Hohepriester seine Schuhe wieder in die Hand gedrückt hatte.
» Sagen? Um Intis willen, gar nichts sollst du sagen! Du sprichst nur, wenn du gefragt wirst, und dann nur kurz und knapp. Hast du das verstanden? Gut! Dann komm endlich.«
Kemaq stolperte hinter Huaxamac her, und schließlich erreichten sie das große Zelt. Es war eigentlich kein Zelt, sondern ein aus Schilfstroh errichtetes, zeltähnliches Gebäude mit einem großen Vorhof, in dem nun, obwohl die Sonne noch nicht einmal ganz aufgegangen war, viele wichtig aussehende Menschen, Männer wie auch Frauen, versammelt waren. Auf einer kleinen steinernen Terrasse sah Kemaq ein prächtiges Kissen auf einem Stuhl liegen. Es war unschwer zu erraten, wessen Platz dort war, aber Atahualpa Inka war nicht dort. Neben dem Stuhl stand ein kleiner Tisch, auf dem neben anderem kostbarem Geschirr ein vergoldeter Totenschädel ruhte. Kemaq hätte gerne gewusst, was es damit auf sich hatte, wagte aber nicht zu fragen. Er folgte Huaxamac, dem von einem Krieger ein Platz sehr weit von diesem Stuhl entfernt zugewiesen wurde. Gespannte Erwartung lag über dem Hof.
Die Zeit verrann, und die Sonne erhob sich über den Zelten. Sie stieg und stieg, und noch immer ließ der Sapay Inka sich nicht sehen. Doch dann trat er aus seinem Haus, angekündigt durch das Erscheinen einiger besonders prachtvoll gekleideter Würdenträger. Kemaq verneigte sich, weil alle sich verneigten, aber aus dem Augenwinkel starrte er den Sapay Inka unentwegt an. Er befand sich keine dreißig Schritte vom Sohn der Sonne entfernt. Er war eine beeindruckende Erscheinung, gehüllt in einen Mantel aus schillernden Vogelfedern. Die breite Stirn war hinter der Borla verborgen. Sie war rot, nicht weiß wie bei der Fremden, und die Fransen hingen dem Inka nur bis zu den Brauen, nicht über die Augen. Sein Gesicht war kantig, und Kemaq glaubte, große Selbstsicherheit und unbeugsame Entschlossenheit darin lesen zu können. Sein Blick schien jedoch ins Leere zu gehen. Der Sapay Inka schien sich gar nicht mit dem zu beschäftigen, was um ihn herum vorging.
Jetzt trat ein Mann unter einer tiefen Verbeugung vor und sagte: » Erhabener Sohn der Sonne, die Fremden sind vor deiner Stadt eingetroffen. Sie lagern an der Straße und scheinen auf etwas zu warten.«
» Auf was?«, fragte einer der Männer, die hinter dem Sapay Inka standen.
Atahualpa sah in eine ganz andere Richtung.
» Wir nehmen an, dass sie auf deine Erlaubnis warten, die Stadt betreten zu dürfen.«
Plötzlich trat Rumi-Nahui vor. Er war mit Atahualpa aus dem Schilfhaus gekommen.
» Herr, deine Krieger sind begierig auf den Kampf. Das Heer ist kampfeslustig wie der Jaguar und bereit, den Feind zu verschlingen.«
» Das wissen wir«, antwortete der Berater, und Atahualpas Blick blieb weiter in die Ferne gerichtet.
Kemaq fragte sich, ob der Sapay Inka mit seinem Vater, dem Sonnengott, Zwiesprache hielt. Ihm fiel auf, dass auch der große und gefürchtete Feldherr barfuß war und ein kleines Bündel auf dem Rücken trug.
Atahualpa gab seinem Berater einen Wink. Dieser, ebenfalls barfuß, trat nun vor und sagte: » Der Chaski aus Tikalaq, ist er hier?«
Kemaq bekam weiche Knie.
» Nun geh schon«, fauchte Huaxamac leise und schob ihn nach vorn.
Kemaq trat unter einer tiefen Verbeugung vor. Er befahl seinen Knien, mit dem Zittern aufzuhören, aber sie gehorchten nicht.
Der Berater des Inka sagte: » Wir haben gehört und können nun auch sehen, dass der Segen Intis auf dir ruht, Chaski. Wir befinden dich daher für wert, die Worte Atahualpa Inkas zu den Fremden zu tragen.
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