Drachensturm
Sage ihnen Folgendes – Atahualpa Inka grüßt die Fremden. Ihr dürft nach Caxamalca gehen und dort ruhen. Die Häuser am Platz dürft ihr bewohnen, sonst aber keine. Heute ist ein Fastentag. Morgen werde ich, Atahualpa Inka, Sohn der Sonne und Herr über das Tawantinsuyu, befehlen, was weiter geschehen soll. Hast du das verstanden, Chaski?«
Kemaq nickte hastig, während er die Worte im Geiste noch einmal wiederholte. » Gut, du wirst sofort zurückkehren und berichten, was du gesehen hast. Verstanden? Gut. Dann eile.«
Kemaq war froh, als er das Zelt mit immer noch zitternden Knien verlassen durfte. Er war tief beeindruckt. Er hatte den Sapay Inka mit eigenen Augen gesehen, einen wahrhaft großen Mann. Während er durch das Lager hastete, dachte er darüber nach, was dort geschehen war. Jede Geste, jedes Wort hatte er sich eingeprägt. Der Sapay Inka selbst hatte jedoch gar nichts gesagt, es war Kemaq auch so erschienen, als sei der Herrscher nur zu einem Teil dort gewesen, der andere Teil schien beinahe entrückt, als würde sich der Herr über das Reich mit seinem Vater Inti und den anderen Göttern unterhalten. Diese übermenschlichen Wesen würden beraten und beschließen, was mit ihm und all den anderen Sterblichen geschehen solle. Kemaq fragte sich, ob diese Götter auch die Macht hatten, über die Fremden und ihre Drachen zu entscheiden.
» Ich finde es beunruhigend«, sagte Nabu.
Mila war, wie auch die anderen Ritter, nach der Landung im Sattel geblieben. Sie rechneten jeden Augenblick mit einem Angriff und wollten darauf vorbereitet sein. Die Drachen lagerten etwas abseits, der Pferde wegen. Mila hörte, dass die Kanonen nach vorn gebracht wurden. Gespannte Erwartung lag über den spanischen Truppen. Sie hörte auch die Priester, die durch die Reihen gingen und den Männern Mut zusprachen.
» Was beunruhigt dich – ich meine, was denn genau?«, fragte sie.
» Da drüben, dieses Heer. Es hat Aufstellung genommen und hält eine gute Position auf dem Hügel etwas abseits der Stadt. Und es sind viele Krieger, zehnmal, vielleicht zwanzigmal mehr als vor Chan Chan. Sie könnten uns einfach rein zahlenmäßig erdrücken.« »Ich hoffe doch, dass sie die Drachen fürchten«, warf Graf Tassilo ein. Der Tressler saß ebenfalls im Sattel.
» Wenn sie wüssten, welche Schwierigkeiten diese dünne Luft uns bereitet, hätten sie bestimmt keine Angst mehr«, brummte Nabu.
» Ich brauche kein Feuer, um die da drüben wegzufegen«, zischte Nergal. » Sie werden rennen, schon wenn sie mich nur sehen.«
Marduk schnaubte missbilligend. » Sie haben uns gesehen und auch gehört, Nergal, heute Morgen. Und gerannt sind sie nur, um ihre Waffen zu holen. Es sind tapfere Krieger, und wenn ihre Waffen nicht so schlecht wären, würde ich mir ernsthafte Sorgen machen.« Nergal antwortete mit einem übellaunigen Zischen, sagte aber nichts weiter.
» Es tut sich etwas«, rief der Hochmeister.
Mila lauschte angestrengt, aber es blieb relativ ruhig. Es klang nicht, als würde sich eines der beiden Heere in Bewegung setzen.
» Ein Bote«, erklärte Nabu.
» Danke«, sagte Mila.
» Gern geschehen«, erwiderte Nabu. Er war ausgesucht freundlich, schon den ganzen Morgen. Mila vermutete, dass er gut Wetter machen wollte. Sie war eigentlich nicht nachtragend, aber sie war immer noch verstimmt, weil Nabu nicht über die nächtlichen Ereignisse auf dem Hügel reden wollte. Sie hatte ihn gefragt, ob er nicht mit den anderen Drachen darüber gesprochen hatte, aber er hatte nur ausweichend geantwortet. Sie konnte ihn natürlich schlecht fragen, was es mit der » Alten Magie« auf sich hatte, denn dann hätte sie zugeben müssen, dass sie gelauscht hatte.
» Wenn sie einen Boten schicken, sollten wir uns da nicht bereit machen, ihn mit Würde zu empfangen, Maximilian?«, fragte der Tressler.
» Ihr habt Recht«, sagte der Hochmeister.
Mila hörte die beiden Männer absteigen. Kurz entschlossen folgte sie diesem Beispiel. Der Bote brauchte einen Übersetzer, oder vielmehr eine Übersetzerin – eine, die das Quechua so gut beherrschte, dass gefährliche Missverständnisse vermieden werden konnten.
Der Anführer der Männer saß auf einem der vierbeinigen Tiere, und einige seiner Unterführer auch. Kemaq musste zu ihnen aufschauen. Es war das erste Mal, dass er sie aus der Nähe und in aller Ruhe betrachten konnte. Schöne Menschen waren es eigentlich nicht. Ihre Haut war blass, es wuchsen ihnen viele Haare im Gesicht, und sie
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