Drachensturm
Streitkolben dieser stolzen Krieger waren die einzigen Waffen, die Kemaq erkennen konnte. Dann endlich erschien Atahualpa Inka selbst. Er saß auf einem goldenen Thron, der auf einer roten Sänfte ruhte. Ein Dutzend Männer trugen ihn. Sein Mantel war ganz aus glänzenden Federn gemacht. Stumm und ohne seine Krieger eines Blickes zu würdigen, ließ sich Atahualpa durch die Reihen seines Heeres tragen. Ihm folgten weitere Würdenträger, Curacas und Priester, und dann auch viele Frauen. Endlich entdeckte Kemaq auch Huaxamac selbst. Sein Gewand leuchtete gelb aus einer ganzen Schar Priester hervor. Er lief keinen Steinwurf hinter der roten Sänfte.
Kemaq erbleichte, denn da war auch Qupay, sein Bruder – er war in der Nähe des Hohepriesters. War es schon zu spät? Kemaq versuchte, sich unauffällig unter den Kriegern einzureihen, die das Ende des langen Zuges bildeten. Niemand hielt ihn auf. Der Zug schritt nur langsam und unter feierlichem Gesang voran. Kemaq lief den Zug entlang. Er erntete viele fragende, manchmal zornige Blicke, doch er hielt das Muschelhorn als Zeichen seines Amtes in der Hand, und offenbar reichte das jetzt, um ihm unangenehme Fragen zu ersparen. Er holte die Gruppe der Priester dennoch erst ein, als sie schon die ersten Häuser der Stadt hinter sich gelassen hatten.
Endlich sah er das gelbe Gewand Huaxamacs vor sich. Er drängte sich zwischen zwei verdutzten Priestern hindurch und sprach den Hohepriester vorsichtig an. Obwohl das eine Verletzung der Tempelgesetze war, schien Huaxamac eher überrascht als zornig zu sein. » Was willst du denn hier?«, fragte er unwillig.
» Ich muss dich warnen, Herr«, rief Kemaq. » Melap hat dich belogen.« Er hatte sich lange überlegt, was er sagen sollte, denn er musste den Hohepriester warnen, ohne seinen Bruder bloßzustellen.
Huaxamac runzelte die Stirn. » Was weißt du von Melap?«, fragte er.
Kemaq senkte die Stimme. Er hoffte, der Gesang würde verhindern, dass noch jemand hörte, was er vorzubringen hatte. » Ich weiß, dass er Inti für einen falschen Gott hält, Herr«, erklärte er in Anspielung auf die Weissagung für die Schlacht von Chan Chan. Der Hohepriester nahm diese Worte mit unbewegter Miene entgegen. Verstand er nicht, was Kemaq ihm sagen wollte?
» Falsche Götter«, murmelte Huaxamac endlich. Er blieb stehen, was für einige Verwunderung bei den anderen Priestern sorgte, die sich nun an ihm und an Kemaq vorüberdrängten.
» Was hat Melap für heute vorausgesagt?«, fragte Kemaq drängend, da der Hohepriester schwieg.
» Waffen bedeuten Verhängnis«, lautete die geflüsterte Antwort.
» Du musst den Sapay Inka warnen, Herr«, rief Kemaq.
Weitere Menschen drängten sich an ihnen vorbei, und sie alle hatten den Gesang der Sonne angestimmt.
Kemaq hatte das Gefühl, dass ihn noch jemand anstarrte. Er drehte sich um. Es war Qupay, leichenblass. Er musste alles gehört haben. Plötzlich streifte der Hohepriester einen seiner goldenen Armreife ab und sagte: » Geh zu Rumi-Nahui, der die Truppen vor der Stadt befehligt. Zeige ihm den Armreif, denn sonst wird er nicht glauben, was du zu sagen hast. Sag ihm, dass er uns zu Hilfe eilen muss. Schnell, Chaski, lauf.«
» Aber willst du nicht …«, begann Kemaq.
» Den Inka zur Umkehr bewegen? Bin ich ein Gott? Denn ein solcher müsste ich sein, um den Sinn des Sonnensohns zu wandeln. Nein, wir gehen in die Stadt, aber Rumi-Nahui kann uns retten. Lauf, Chaski!«
» Kann mein Bruder mich begleiten – er würde den Feldherrn vielleicht eher überzeugen als ein einfacher Läufer«, bat Kemaq.
Aber Huaxamac schüttelte den Kopf. » Unser Platz ist an der Seite des Sapay Inka, Läufer, doch deiner nicht. Also eile. Alles hängt von dir ab.«
Kemaq drängte durch die Reihen zurück. Er hatte das Ende des Zuges fast erreicht, als er plötzlich von einer knochigen Hand am Arm gepackt und angehalten wurde. » Melap!«, rief er erstaunt.
Der Chachapoya drängte ihn aus dem Zug und gegen die Wand einer Hütte. » Du hast versucht, sie zu warnen, oder?«, fragte er.
» Lass mich, ich muss zu Rumi-Nahui!«, rief Kemaq und versuchte, sich loszureißen.
Der Alte lachte bitter auf. » Den Weg kannst du dir sparen, denn es ist zu spät. Und glauben werden sie dir ohnehin nicht.«
» Aber du … warum, ich meine – warum gehst du mit in die Stadt?«
Melap lächelte. » Mein Weg führt mich nun einmal dorthin. Wir werden sehen, zu welchem Ende. Doch lauf ruhig. Sie werden dir ebenso wenig
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