Drachensturm
wunderte sich, dass er es jetzt nicht erwähnte. Aber vielleicht dachte er, dass Don Hernando und seine Männer mehr an den greifbaren Reichtümern des Landes interessiert waren. Wenn sie es richtig verstanden hatte, dann hatte Don Francisco dieses Unternehmen nur erlaubt, weil er sich diese sagenhafte Mine sichern wollte. Sie wunderte sich allerdings, dass dieser manchmal so weltfremd wirkende Gelehrte seine Worte offenbar sorgfältig danach wählte, was Hernando Pizarro hören wollte.
Jetzt sagte der Alchemist: » Das ist in der Tat seltsam, aber ich glaube, es ist mir gelungen, wenigstens dieses Rätsel zu lösen. Demzufolge, was ich erfahren habe, holten die Indios Jahr für Jahr große Mengen Silber aus dem Berg. Die Menge wurde nicht geringer, nein, sie schien sogar zu wachsen. Doch dann, eines Tages, wurde die Mine völlig überraschend geschlossen.«
» Augenblick, wollt Ihr mir etwa sagen, dass sie erschöpft ist?«, fragte Don Hernando plötzlich mit schneidender Schärfe in der Stimme.
Die Spanier an ihrem Feuer waren schlagartig still geworden. Mila konnte die Spannung förmlich fühlen.
» Aber nein, Don Hernando, nicht doch!«, beeilte sich der Gelehrte zu versichern. » Wie Ihr vielleicht wisst, führen die Indios Buch, wenn auch nicht mit Buchstaben, wie wir sie kennen, sondern mit diesen seltsamen Knotenschnüren, die Ihr vielleicht schon gesehen habt. Ich hatte Gelegenheit, in Caxamalca mit einem der, wie soll ich sie nennen, Knotenmeister der Indios zu sprechen. Sie heben diese Schnüre auf, wisst Ihr? Es ist beinahe wie ein Archiv.«
» Ich möchte wissen, ob wir uns durch diese Wildnis quälen, nur um eine aufgegebene Mine zu besichtigen. Kommt also zum Punkt, Meister Albrecht!«
» Da kann ich Euch beruhigen, Don Hernando, wirklich. Ich habe mir nämlich die Listen der Silberlieferungen aus Tanyamarka zeigen lassen. Die Zahl der Barren stieg in den letzten Monaten, in denen sie betrieben wurde, sogar an. Ich fragte diesen Knotenmeister also nach dem Grund für die Schließung. Er sagte, der Inka habe es befohlen. Ich fragte, wie Ihr Euch denken könnt, nach dem Grund, und ich erfuhr, dass die Mine wohl noch einem anderen, dunkleren Zweck gedient hatte, einem Zweck, über den der Mann leider nichts wusste. Es scheint aber so zu sein, dass Huáscar, Atahualpas Bruder, die Mine schließen ließ, weil er dieses Geheimnis fürchtete, und zwar so sehr, dass er auf das Silber verzichtete.«
Eine gewisse Unruhe lag in der Luft. Die Spanier raunten einander leise zu, und Mila hörte, dass sie sich fragten, welche düstere Gefahr dort lauern mochte.
» Habt Ihr wenigstens einen Verdacht?«, fragte Hernando.
Der Gelehrte zögerte mit seiner Antwort, dann sagte er: » Nein, keinen, der mehr wäre als bloßes Raten, vermutlich ist es nur heidnischer Aberglaube.«
Mila hörte ihm an, dass er log, und sie fragte sich, welchen Grund er dafür hatte.
Pitumi führte Kemaq durch die Straßen der Stadt in einen dunklen Winkel, in dem die Häuser klein und ärmlich wirkten. » Warum sagst du mir nicht endlich, was du mir zeigen willst, Heilerin?«, fragte er ungeduldig.
» Es ist eigentlich nicht etwas, sondern jemand. Geduld, wir sind gleich da.«
Kemaq spürte eine wachsende Unruhe. Erst dachte er, sie käme daher, dass ihn die Chachapoya weiter mit Rätseln hinhielt, dann, weil Rumi-Nahui auf ihn und auf gute Nachrichten wartete. Aber mit denen konnte er vorerst nicht dienen. Plötzlich fiel ihm ein, dass der Curaca die Angelegenheit jetzt, wo die Fremden sich der Stadt näherten, anders sehen würde.
Er schlug sich erschrocken vor die Stirn.
» Was hast du?«, fragte Pitumi verwundert.
» Ich muss mit dem Curaca sprechen, denn das ist meine Pflicht. Die Feinde sind vor der Stadt, er muss seine Meinung ändern. Und dann muss ich Rumi-Nahui mitteilen, wie der Curaca entscheidet, denn auch das gehört zu meinen Aufgaben. Es gibt Männer, die sich auf mich verlassen und die mir sagen, was sie erwarten, und mich nicht mit rätselhaften Bemerkungen hinhalten.«
» Tunkapu weiß doch, dass die Fremden kommen, und ich habe längst dafür gesorgt, dass Rumi-Nahui erfährt, was hier geschieht.«
» Du … du hast ihm einen anderen Läufer geschickt?«, fragte Kemaq zweifelnd.
Pitumi lächelte, statt zu antworten.
Kemaq biss sich auf die Lippen. Wer konnte wissen, was sie dem Feldherrn berichten ließ? Sie war eine Chachapoya, und die verfolgten ihre eigenen Ziele. Kemaq zögerte, das Haus zu betreten.
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