Drachensturm
Söhne geschenkt hat. Sein Recht ist beinahe ebenso alt wie das Bruder Konrads, und er ist ebenso würdig wie jener, einen Drachen zu reiten.«
Mila hörte das verächtliche Schnauben Ritter Balians, und sie fragte sich, ob sich der Mann nicht beherrschen konnte – oder nicht beherrschen wollte. Richard von Geldern bekam jedoch keine Empfehlung der Ordensmeister für seine Bewerbung, und so trat jetzt Waleran de Martel vor, um den dritten und letzten Anwärter vorzustellen. Es handelte sich um Henri de Chalon, den Mila für den eitelsten und beschränktesten der drei Bewerber hielt. Aber er war immerhin nicht ganz so boshaft wie Konrad und nicht ganz so rücksichtslos wie Richard. Hätte sie sich zwischen den dreien entscheiden müssen – und sie schickte ein Stoßgebet gen Himmel, dass dieser Tag niemals kommen möge –, sie hätte sich am Ende vermutlich für Henri als das kleinste Übel entschieden.
» Jetzt ist es an Nabu«, flüsterte ihr Don Mancebo zu, aber er irrte sich, denn Fray Celso trat noch einmal vor und ermahnte jeden der Knappen eindringlich zu ritterlichem und gut christlichem Verhalten, besonders, wenn die Wahl nicht auf ihn fiele.
Nach den Worten des Mönchs hörte Mila, wie sich Marduk erhob und seine großen Flügel entfaltete. Dann rief er: » Hier steht Al-Nabu von Medina, Nabu der Weise, Drache dieses Ordens, der in mehr Schlachten gekämpft hat, als ein jeder von euch an Jahren zählt. Er wird nun seinen Menschengefährten wählen.«
Die Erschütterung des Bodens verriet Mila, dass sich Nabu näherte. Sie hatte noch nie zuvor seinen vollen Namen gehört, aber jetzt konnte sie Don Mancebo nicht fragen, wie er dazu gekommen war. Nabu überquerte den schmalen Kanal mit einem Sprung und landete hart vor den Stufen. Die drei Knappen und ihre Mentoren wichen zurück, wie Mila am Klirren ihrer Rüstungen hörte, und sie musste ein Lächeln unterdrücken. Sie wusste, wie breit das Gewässer war – Nabu hätte leicht darüber hinwegschreiten können. Vielleicht, so dachte sie, will er sie testen. Sie hoffte inständig, dass der Drache herausfinden würde, dass Konrad von Wolfegg nicht viel taugte. Der Drache verharrte, Mila hörte seinen ruhigen Atem – und plötzlich war da wieder dieses andere Gefühl, sie spürte die Präsenz des Drachen. Das war nichts, was man mit Ohren hören konnte, ja, Mila war sich seltsam sicher, dass sie etwas wahrnahm, was selbst Augen nicht sehen konnten, aber doch kam es Sehen am nächsten. Es war wie ein blasses Flackern in der schwarzen Dunkelheit, die sie seit ihrer Geburt umgab, eine unruhige Flamme, eher ein schwacher Schatten, der ständig Größe und Gestalt änderte, und als Mila sich noch mehr darauf konzentrierte, konnte sie, wie vor einem inneren Auge, auch andere flackernde Schatten wahrnehmen. Sie waren heller als beim letzten Mal. Ihr stockte der Atem. Dann drang Nergals ungeduldiges Zischen an ihr Ohr, und die bleichen Flammen schwanden und ließen Mila allein in der Finsternis zurück. Plötzlich fühlte sie sich sehr verloren. Nabu schien immer noch damit beschäftigt zu sein, die drei Schildknappen zu mustern, jedenfalls hörte Mila, wie er sich unruhig bewegte. Endlich sagte er: » Ich kenne euch: dich, Konrad, der du ein unruhiges Wesen hast; dich, Richard, der du deinem Mentor eine Last und Plage bist; und auch dich, Henri, der du mehr Zeit vor dem Spiegel als auf dem Fechtplatz verbringst.« Er schnaubte verächtlich und fragte dann: » Sagt mir, warum sollte ich einen von euch den anderen vorziehen?«
Die Schildknappen schwiegen einen Moment, offenbar hatte sie niemand auf die Möglichkeit vorbereitet, dass der Drache ihnen Fragen stellen würde. Mila hörte, wie Balian seinem jüngeren Bruder einen harten Stoß mit der Faust gab, so dass seine leichte Rüstung klapperte. Der Junge trat vor und sagte mit sich überschlagender Stimme: » Ich bin der Älteste von uns dreien, und ich fürchte mich nicht.«
Der Drache schnaubte. Jetzt fasste sich offenbar auch Richard ein Herz und rief: » Du kennst mich, Nabu. Ich bin ein guter Reiter.« Wieder schnaubte der Drache und erwiderte dann: » Du hast Recht, Richard von Geldern, aber auch wieder nicht, denn du bist zwar ein Reiter, der schon so manches Wettrennen gewonnen hat, aber nur, weil du deine Pferde bis aufs Blut quälst.«
» Ich quäle meine Pferde nicht«, rief Henri aus.
» Das ist richtig, Henri de Chalon, und das ist wohl das Beste, was man von dir sagen kann«, knurrte Nabu
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