Drachensturm
dass es vorher auf dem Platz sehr laut geworden war. Der Tressler hatte sie wütend angefahren, was sie sich einbilde – dabei hatte doch nicht sie Nabu, sondern der Drache sie gewählt. Zwei der drei Mentoren der Schildknappen hatten Einspruch angemeldet, höflich, aber bestimmt. Balian von Wolfegg war hingegen ausgesprochen grob geworden und hatte gesagt, der Drache müsse verrückt geworden sein, dass er eine verkrüppelte Blinde einem echten Ritter vorzog. Der Zorn kochte in Mila hoch, wenn sie nur an diese Worte dachte. Überraschenderweise hatte der Conte di Collalto erklärt, der Drache habe möglicherweise durchaus das Recht zu wählen, wen er wolle, das bedürfe sorgfältiger Prüfung. Der Tressler hatte vor Wut geschäumt und ihr Großonkel nicht etwa Partei für sie ergriffen, sondern sich bemüht, die Wogen zu glätten. Viel erreicht hatte er dabei bisher nicht, ganz im Gegenteil: Je mehr er versuchte, sie zu beruhigen, desto wütender wurden der Tressler und Ritter Balian. Mila begriff, dass sie dabei war, die unausgesprochene Fehde, die der Tressler gegen ihren Großonkel führte, weiter anzuheizen. Aber was sollte sie jetzt nur tun?
» Es ist natürlich undenkbar, dass Ihr die Wahl annehmt«, sagte der Tressler jetzt.
» Das habt Ihr schon auf dem Platz gesagt, Tassilo, und Ihr habt gehört, was die Drachen davon halten«, entgegnete di Collalto.
Das Gebrüll war ohrenbetäubend gewesen, und Mila hätte sich ihre Ohren gern zugehalten, hatte sich aber nicht getraut, sich überhaupt zu bewegen. Dann hatte der Hochmeister die Drachen um etwas Bedenkzeit für die Gekürte gebeten und damit vermutlich die Situation gerettet, das jedenfalls dachte Mila jetzt. Die Drachen waren also der Meinung, dass die Wahl gültig war. Mila war klar, wie unmöglich war, was Nabu getan hatte. Sie war blind. Von welchem Wert könnte sie in der Schlacht sein, auf dem Rücken eines Drachen, den sie nicht lenken konnte?
» Nun gut, die Comtesse ist eine vernünftige junge Dame. Sie wird Nabu klarmachen, dass er neu wählen muss«, erklärte der Tressler sehr entschieden.
» Wird sie?«, fragte di Collalto spöttisch.
» Sie wird!«, behauptete Tassilo von Neiblingen. » Außerdem dürfen wir Don Pizarro und seine Männer nicht vergessen. Sie werden bald hier sein. Was werden sie sagen, wenn wir diese Blinde einen Drachen reiten lassen? Wir machen uns zum Gespött, und ich muss Euch nicht sagen, dass unser Verhältnis zu den Konquistadoren schon jetzt nicht das einfachste ist! Wollt Ihr wirklich alles noch komplizierter machen, indem Ihr Pizarro so offen die Schwäche unseres Ordens zeigt?«
» Wie meint Ihr das?«, fragte di Collalto betont freundlich.
» Meint Ihr, ich sei, was diese Knappen betrifft, anderer Ansicht als Ihr? Ich weiß, dass sie nicht viel taugen, auch wenn es mich schmerzt, es über den jungen Wolfegg zu sagen, der immerhin zu einem Zweig meiner Familie gehört. Die Zeiten sind leider vorbei, in denen der Adel des Reiches und aller anderen Länder sich förmlich darum riss, seine Sprösslinge in unseren Orden zu geben. Waren sie nicht schon zufrieden, wenn sie nur zu Pferde dienen durften, solange es nur unter der Standarte unseres Ordens geschah? Und heute? Wann hat der letzte König, Kurfürst oder Herzog einen Prinzen zu uns geschickt? Und wo sind die Heerscharen, über die wir früher geboten? Nein, unser Orden ist im Niedergang, wie die anderen Ritterorden auch. Wo sind die Templer? Was ist aus den mächtigen Deutschrittern geworden? Wollen wir ihnen etwa auf dem Weg in die Bedeutungslosigkeit folgen? Wenn wir jetzt eine Frau, noch dazu eine Blinde, in den Sattel heben, dann machen wir unseren Niedergang deutlicher, als ich es mir je hätte vorstellen können. Ich glaube kaum, dass Pizarro uns noch ernst nähme.« Der Tressler hatte schnell und mit Leidenschaft gesprochen. Überrascht erkannte Mila, wie sehr ihm der Orden am Herzen lag. Sie konnte seine Einwände verstehen, aber dennoch gab es noch ein anderes Gefühl: Stolz. Sie verspürte Stolz darüber, von Nabu ausgewählt worden zu sein, und es war beleidigend, dass Graf Tassilo sie zum Sinnbild des Niedergangs erklären wollte.
Der Hochmeister räusperte sich. » Ich sehe vieles ganz ähnlich, Tassilo. Die Schwierigkeit wird darin liegen, den Drachen klarzumachen, dass Mila diese Würde aus freien Stücken ablehnt, und nicht, weil wir es so wollen.«
» Drachen!«, schnaubte der Tressler verächtlich. » Sie waren schon immer viel zu
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